13. Weltmeisterschaften

Kairo 1939

DIE WELTMEISTERSCHAFTEN IN AFRIKA

Vom 6.-11. März 1939 wurde das erste Mal eine Tischtennisweltmeisterschaft außerhalb Europas ausgetragen. Neben fünfzig ägyptischen Spielern erschienen etwa fünfzig ausländische Teilnehmer aus dreizehn verschiedenen Nationen.

Tischtennis hatte sich in Kairo zu einer der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der höheren Gesellschaft entwickelt. Man scheute deshalb auch keine Mühe und Kosten, um die Austragungsorte der Weltmeisterschaften nach europäischen Vorbild herzurichten. Um möglichst gut gegen die europäischen Spieler standhalten zu können, war der Pole Ehrlich bereits einige Monate vorher als Nationaltrainer engagiert worden.

Allerdings war die Reise zum Austragungsort Kairo den meisten Nationalverbänden zu kostspielig. Die Herren der DTTB  Auswahl blieben zuhause, weil auch nach dem Anschluss von Österreich keine überlegene großdeutsche Herrenmannschaft zustande gekommen wäre. Dies lag vor allem an der Emigration von Bergmann und Liebster. Doch besonders das Fehlen der Spitzenspieler aus Ungarn und den USA ließen das Turnier auf ein niedriges Niveau herabsinken. Von 108 gemeldeten Teilnehmern erschienen nur etwa die Hälfte.

Damit war dies die am schwächsten besetzte Weltmeisterschaft der Dreißiger Jahre.

Andererseits gab es aber auch zwei Debütanten aus dem Mittelmeerraum, die bisher keine Möglichkeit gefunden hatten, an einem großen internationalen Turnier teilzunehmen. Die griechischen Sportfunktionäre entsandten ihre besten männlichen Spieler und aus dem von den Briten besetzten Einwanderungsland Palästina reiste eine Herren- und eine Damenmannschaft an.

Weitere Erstteilnehmer waren die Spieler und Spielerinnen aus Luxemburg, die wahrscheinlich aufgrund des attraktiven Reiseangebots nach Kairo gekommen waren.

Übrigens war es sicher das erste internationale Turnier, bei dem die Spieler noch während ihrer Anreise trainieren konnten, denn jedes bessere Passagierschiff im Mittelmeer hatte einen Tischtennistisch an Bord. Am Ankunftsort angelangt, verursachten dann die ungewohnt hohen Temperaturen einen neuen Trend in der Tischtennismode. Es war durchaus gestattet, mit kurzen Hosen zu spielen.

Die Vorrunden der Weltmeisterschaften wurden alle unter dem Dach des "Palais de la Société Royal d'Agriculture" ausgetragen.

Durch das Fernbleiben der Tischtennisspezialisten aus Ungarn und Amerika waren die Tschechen mit Hamr, Tereba und Vana klare Favoriten für den Swaythling-Cup. Mit der Aufstellung von Barna und Bergmann hätten auch die Engländer sehr gute Chancen für den Titelgewinn haben können. Doch scheute sich der englische Mannschaftsführer davor, die beiden Einwanderer in seinem Team spielen zu lassen.

Die hohen Leistungseinschätzungen der Tschechen bestätigten sich vollends. Sie gewannen alle Begegnungen mit 5:0, nur im Spiel mit den Engländern musste Bohumil Vana mit seinem riskanten Angriff eine Niederlage gegen Ken Hyde einstecken. Auch insgesamt gesehen war der Wettbewerb um den Swaythling-Cup eine Folge von klaren Siegen und Niederlagen. Nicht ein einziges Spiel ging mit 5:4 aus und nur wenige endeten mit 5:3. Dies war ein deutliches Zeichen für die großen Leistungsunterschiede zwischen den Mannschaften. Der Kampf um den zweiten Platz entschied sich zwischen den Engländern Hyde, Bubley und Lurie und den Jugoslawen Hexner, Marinko und Harangozo. Diese beiden Teams hatten jeweils nur gegen die Tschechen verloren. Doch weder Bubley noch Hyde konnten ein Spiel gegen die Jugoslawen gewinnen, und so halfen die Erfolge von Lurie nur zu einem 3:5-Endstand. Damit qualifizierten sich die Tschechen und Jugoslawen für ein gesondert angesetztes Finalspiel, das vier Tage später in der Ausstellungshalle der Foudavag Universität in Heliopolis, einem Vorort von Kairo, begann.

Dort konnten die Jugoslawen den tschechischen Spielern eine überraschend starke Gegenwehr bieten, verloren aber dennoch 1:5.

Sie erreichten den zweiten Platz im Swaythling-Cup in der weiteren Geschichte der Weltmeisterschaften nie wieder. Stattdessen bewahrten die tschechischen Spieler Tereba und Vana sogar noch über die ersten Nachkriegsweltmeisterschaften hinaus ihre Spitzenstellung im internationalen Tischtennis.

Platzierungen im Swaythling-Cup - Herren-Mannschaften:

1. Tschechoslowakei (SF: R. Karlecek, M. Hamr, V. Tereba, B. Vana), 2. Jugoslawien, 3. England, 4. Litauen, 5. Rumänien, 6. Ägypten, 7. Frankreich, 8. Griechenland, 9. Indien, 10. Palästina, 11. Luxemburg.

 

Am Kampf um den Corbillon-Cup nahmen nur fünf Mannschaften teil. Da sich die Palästinenserinnen nach ihrer sofortigen 0:3-Niederlage vor weiteren Blamagen hüten wollten, fuhren sie noch vorzeitig nach Hause.

Die "großdeutsche" Mannschaft hatte mit der amtierenden Weltmeisterin aus Wien und der Berlinerin Bussmann gute Chancen auf den ersten Platz. Im entscheidenden Spiel gegen die mehrmaligen Weltmeister Kettnerov  und Votrubcov  gewannen sie in ausgeglichenen Begegnungen mit 3:0. Angelika Adelstein konnte zwar noch für die rumänische Mannschaft ein Einzel gewinnen, doch entschied auch hier die deutsche Mannschaft den Wettkampf für sich. So konnten die Spielerinnen den Corbillon-Cup zum zweiten Mal für Deutschland entgegennehmen.

Platzierungen im Corbillon-Cup - Damen-Mannschaften:

1. Deutschland (MF: P. Steffenhagen, H. Bussmann, G. Pritzi), 2. Tschechoslowakei, 3. Rumänien, 4. Ägypten, 5. Palästina.

 

Da die meisten angemeldeten Tischtennisspieler nicht nach Kairo gelangen konnten, musste das zerstückelte Teilnehmerfeld des Herreneinzels durch 54 Einheimische aufgefüllt werden. Einige Zeitungen machten sich über diese Turnierbesetzung lustig. In überspitzten Kommentaren hieß es, dass jeder teilnahm, der nur einen Schläger halten konnte. Hinzu kamen Manipulationen der ägyptischen Turnierleitung. Da sie natürlich wollte, dass ihre Spieler möglichst weit vordringen würden, setzte man sie fast alle in die untere Hälfte des Teilnehmerfeldes.

Viele erfolgreiche Spieler des Mannschaftswettbewerbes schieden schon in den ersten Runden des Turniers aus. Dies lag vor allem an den Spitzenspielern Barna, Bergmann und Ehrlich, die nur in den Einzel- und Doppelwettbewerben starten durften. Die letzten drei Begegnungen im Herreneinzel fanden unter Präsenz des ägyptischen Königs Farouk im Opernhaus von Kairo statt. Die erste Halbfinalbegegnung bestritt der Jugoslawe Zarko Dolinar gegen Alojszy Ehrlich. Dolinar hatte das Glück, die ersten Runden nur gegen die relativ schwachen Ägypter überstanden zu haben. Im Kampf gegen den renommierten Polen Ehrlich hatte er aber keine Chance. Zwar konnte er im ersten Satz mit 19 erreichten Punkten noch gut mithalten, doch in den letzten beiden Sätzen erreichte er nur 14 und 11 Punkte.

In der zweiten Halbfinalbegegnung fiel die Vorentscheidung um den Weltmeistertitel. Der erste und zweite der ITTF-Weltrangliste standen sich wieder gegenüber. In den zahlreichen Schaukämpfen, die Bergmann und Vana ausgetragen hatten, lernten sie gegenseitig genau ihre bevorzugten Techniken und Taktiken kennen. Bergmann hatte sich inzwischen auf die Stoppbälle seines Gegners eingestellt. Um den Ball noch erreichen zu können, beobachtete er genau die Ausholbewegungen von Vana. So konnte er voraussehen, welche Technik Vana anwenden würde und konnte rechtzeitig auf die Stoppbälle reagieren. In den ersten beiden Sätzen nutzte Bergmann die Rückhand-Schwäche von Vana aus und gewann 21:13 und 22:20. In den nächsten beiden Sätzen wurde er jedoch vom Tisch weggedrängt. Vana konnte die Rückhand geschickt umlaufen, um seine harten Treib- und Schmetterschläge

Abb. 71 Richard Bergmann bei der Entgegennahme der St. Bride Vase durch König Farouk

 

einzusetzen. Im fünften Satz sah Bergmann ein, dass er die Initiative ergreifen musste. Einige überraschende Vorhand-Treibschläge führten direkt zu einem 6:0-Vorsprung, und Vana hatte erst beim Stande von 19:20 die Chance auszugleichen. Und nun ging Bergmann bei diesem Spielstand ein volles Risiko ein. Er machte einen kurzen Aufschlag, wartete auf die Rückgabe und schmetterte danach den Ball unerreichbar in die andere Tischhälfte.

Im Finale hatte Bergmann gegen den nicht austrainierten Ehrlich keine Mühe, um in nur drei Sätzen zu gewinnen.

Finale um die St. Bride Vase - Herren-Einzel:

Richard Bergmann (England) - Alojszy Ehrlich (Polen) 3:0 (21:7, 21:15, 21:18).

1. Bergmann (England), 2. Ehrlich (Polen), 3. Dolinar (Jugoslawien) und Vana (Tschechoslowakei).

 

Auch in der nächsten Konkurrenz erlaubte sich die Turnierleitung eine entsprechend günstige Besetzung des 32-Feldes. Die Ägypterin D. Fahmy drang bis ins Halbfinale vor, weil sie vorher keine Ausländerin zum Gegner hatte.

Auf der anderen Hälfte des Teilnehmerfeldes musste Vlasta Depretisov  ihr Durchsetzungsvermögen unter Beweis stellen. Mit zwei vorausgegangenen Siegen in fünf Sätzen über die erst 17-jährige Angelica Adelstein und über ihre Landsmännin Marie Kettnerov  zog sie ins Finale ein.

Dort wurde sie selbst von der amtierenden Weltmeisterin "Trude" Pritzi, die mit einer 2:1-Führung und einem 19:18-Vorsprung im vierten Satz an der Spitze lag, nicht mehr aufgehalten.

Finale um den G. Geist Preis - Damen-Einzel:

Vlasta Depetrisov  (Tschechoslowakei) - Gertrud Pritzi (Deutschland) 3:2 (21:19, 17:21, 16:21, 21:19, 21:9).

1. Depetrisov  (Tschechoslowakei), 2. Pritzi (Deutschland), 3. Kettnerov  (Tschechoslowakei) und Fahmy (Ägypten).

 

Da der Tscheche Hamr als dritter Spieler seiner Nation keinen namhaften Doppelpartner zur Verfügung hatte, musste er mit dem Luxemburger Tartakower spielen. Diese zwei gelangten bis in die letzte Runde, weil angesehene Doppel vorzeitig das Feld verlassen mussten. Das erfolgreiche Mannschaftsdoppel der Jugoslawen Harangozo/Marinko verlor gegen die Engländer Hyde/Lurie. Die beiden tschechischen Spitzenspieler Vana und Tereba leisteten sich eine blamable Niederlage gegen ein ägyptisches Doppel. Anstatt ihr Spiel aufzubauen, ließen sie den Gegner einfach in die Offensive kommen und unterschätzten ihn so sehr, dass sie nachher nicht mehr ihren Spielrhythmus fanden.

Bergmann und Barna gelangten souverän in das Finale, und auch das tschechisch-luxemburgische Paar verlor deutlich in drei Sätzen.

Finale im Herren-Doppel:

G.V. Barna/R. Bergmann (England) - M. Hamr/A. Tartakower (Tschechoslowakei/Luxemburg) 3:0 (21:9, 21:11, 21:12).

1. Barna/Bergmann (England), 2 Hamr/Tartakower (Tschechoslowakei/Luxemburg), 3. Lurie/Hyde (England) und Ehrlich/Helal (Polen/Ägypten).

 

Insgesamt 23 Ägypterinnen und sieben Ausländerinnen nahmen am Doppel teil. Die sieben europäischen Damen machten die ersten drei Platzierungen unter sich aus. Die Tschechen stellten ihr Damendoppel um. Doch auch Votrubcov /Depretisov  konnte das eingespielte Paar Bussmann/Pritzi nicht schlagen. Auch das rumänische Doppel hatte gegen das eingespielte deutsche Paar wenig Chancen zu gewinnen.

Finale im Damen-Doppel:

H. Bussmann/G. Pritzi (Deutschland) - A. Adelstein/S. Koloszvary (Rumänien) 3:0 (21:17, 21:19, 21:14).

1. Bussmann/Pritzi (Deutschland), 2. Adelstein/Koloszvary (Rumänien), 3. Depetrisov /Votrubcov  (Tschechoslowakei) und Kettnerov /Naily (Tschechoslowakei/Ägypten).

Nach ihrem knappen Scheitern in den Doppelwettbewerben und im Herreneinzel erreichten die Tschechen zumindest im Gemischten Doppel den Einzug ins Finale. In der rein tschechischen Begegnung gewannen Votrubcov /Vana. Bemerkenswert war das weite Vordringen der deutschen Damen bis ins Halbfinale, denn sie hatten nur relativ spielschwache Ägypter zum Partner.

Finale im Gemischten Doppel:

V. Votrubcov /B. Vana (Tschechoslowakei) - M. Kettnerov /V. Tereba (Tschechoslowakei) 3:1 (12:21, 21:16, 21:16, 21:17).

1. Votrubcov /Vana (Tschechoslowakei), 2. Kettnerov /Tereba (Tschechoslowakei), 3. Bussmann/Georgeoura (Deutschland/Ägypten) und Pritzi/Helmy (Deutschland/Ägypten).

 

Besonders im Spitzenspiel Bergmann - Vana war erkennbar, wie man dem schnellen Tempowechsel, der durch das erniedrigte Netz ermöglicht wurde, begegnen konnte. Manche Bälle wurden so schnell oder platziert gespielt, dass eine Reaktion des Spielers nicht erst nach Beendigung des gegnerischen Schlages erfolgen

 

Abb. 72 Richard Bergmann und Viktor Barna

konnte. Eine gezielte Handlung konnte also nicht innerhalb der Flugphase des Balles vom Schläger bis zum Aufprall auf den Tisch erfolgen, denn die zur Verfügung stehende Zeit hätte nicht ausgereicht. Ein guter Tischtennisspieler musste deshalb eine gute Antizipationsfähigkeit entwickeln; d.h. Aktionen des Gegners mussten schon vorhergesehen werden. Schon aus der Schlagbewegung des Gegners wurde erkannt, an welcher Stelle des Tisches der Ball gelangen würde. Um die beabsichtigten Aktionen des Gegners rechtzeitig zu erfassen, musste man aber auch dessen mögliche Bewegungsvollzüge kennen. Dies setzte also schon eine gute Erfahrung mit den spezifischen Techniken des Gegners voraus.

Weitere Entwicklungen und Erfahrungen mit dem Leistungstischtennis waren bald unterbrochen.

Zwar wurde im ITTF-Kongreß noch beschlossen die kommenden Weltmeisterschaften möglichst im Februar 1940 anzusetzen, doch schon fünf Tage danach kamen Bedenken auf.

Am 16. März 1939 errichtete Hitler das "Reichsprotektorat Böhmen und Mähren". Den ITTF Funktionären wurde klar, dass die Ereignisse in Europa nicht mehr aufzuhalten waren. Mit dem Blitzkrieg auf Polen wurden auf allgemeine Zustimmung des ITTF Sekretariats alle internationalen Aktivitäten eingestellt.

Der Krieg bewirkte, dass sich viele renommierte Tischtennisspieler in aller Welt zerstreuten. Besonders die ungarischen Spieler emigrierten ins Ausland. So bauten sich Bellak und Glancz mit ihren Spielkünsten eine neue Existenz in den Vereinigten Staaten auf. Barna nahm Abschied von Paris, um zusammen mit Bergmann einen neuen Tischtenniszirkus in England zu starten. Die Amerikaner wiederum gedachten wohl, in ihrem eigenen Land zu Erfolgen zu kommen.

Tibor Hazi reiste zusammen mit Magda Gal nach Washington, Szabados und Kelen, die 1938 Vergleichskämpfe in Japan bestritten hatten, wanderten nach Australien aus, und I. Boros und Dora Beregi folgten Barna nach England.

Doch wie stark das Tischtennisspiel schon in der Gesellschaft verwurzelt war, davon zeugte der Organisations- und Wettkampfeifer, der selbst mitten im II. Weltkrieg zum Vorschein kam. Am 12. Dezember 1943 wurde in Buenos Aires der erste Kontinentale Tischtennisverband, die "South American Confederation", gegründet. Die nationalen Deutschen Meisterschaften wurden bis 1944 ausgeführt, und in Schweden blieb der Spielbetrieb konstant aufrechterhalten.

Mit dem II. Weltkrieg ging die erste große Etappe des Leistungstischtennis zu Ende, - eine ereignisreiche Wegstrecke, auf der viele bekannte Namen wie Barna und Bergmann verewigt sind. Für die nächsten acht Jahre liegen die weiteren Tischtennisgeschehnisse im Schatten des Krieges, doch schon 1947 beginnt ein neuer Abschnitt: Die Zeit des modernen Leistungstischtennis bricht an.