12. Weltmeisterschaften

Wembley 1938

Der Angriff im Vormarsch

 

Die 12. Weltmeisterschaften fanden in London statt, das zum dritten Mal Austragungsort für dieses große Turnier war.

Der Kampf um den Swaythling-Cup begann am 24. Januar in der Royal Albert Hall. Die teilnehmenden Nationen waren wieder in zwei Gruppen aufgeteilt worden, in denen jeweils acht Mannschaften gegeneinander spielten.

Nach Abschluss aller Gruppenspiele gab es in der ersten Gruppe drei Mannschaften, die mit jeweils sechs Siegen an der Spitze standen. Da in den entscheidenden Spielen Österreich das amerikanische Team mit 5:3 bezwang, die Amerikaner gegen die Engländer mit 5:1 gewannen und die österreichische Mannschaft wiederum mit 4:5 am englischen Team scheiterte, mussten die drei Mannschaften noch einmal gegeneinander antreten.

Den erneut angesetzten Wettstreit um die Tabellenspitze konnten die Österreicher Bergmann, Liebster und Schediwy mit einem 5:3 über die USA und einem 5:1 über England für sich entscheiden.

In der zweiten Gruppe dominierten die ungarischen und tschechischen Spieler. Ein 5:3-Erfolg der Ungarn über ihre punktgleichen Rivalen bereitete ihnen den Einzug ins Finale, ohne dass sie vorher ein Spiel verloren hätten.

Erst am 31. Januar trafen die Österreicher im Finale in der großen Wembley-Hall auf die Ungarn. Das Endspiel durfte mit einiger Spannung erwartet werden. Die Österreicher als Schupfexperten wurden vor die Schwierigkeit gestellt, ihr Abwehrspiel auf harten Tischen mit niedrigen Netzen auszuführen. Man hoffte, dass die neuen ITTF Regelungen das schnelle, flexible Angriffspiel der Ungarn deutlich bevorteilen würde. Zudem wollten die Ungarn nach der Flaute der vergangenen Jahre unter diesen Gegebenheiten ihre Tradition als erfolgreichste Swaythling-Mannschaft wieder aufnehmen. Es zeigte sich, dass die Prognosen richtig waren. Die ungarischen Spieler holten sich durch einen 5:3-Sieg den neunten Mannschaftstitel für ihre Nation.

Platzierungen im Swaythling Cup - Herren-Mannschaften:

1. Ungarn (MF: A. Nattan, G.V. Barna, L. Bellak, E. Földy, T. Hazi, F. Soos).

Gruppe A: 1. Österreich, 2. USA, 3. England, 4. Polen, 5. Deutschland, 6. Lettland, 7. Irland, 8. Wales.

Gruppe B: 1. Ungarn, 2. Tschechoslowakei, 3. Frankreich, Litauen und Jugoslawien, 6. Belgien, 7. Niederlande, 8. Ägypten.

Abb. 69 Wettkampfatmosphäre in der Wembley-Hall
Ausgetragungsort für das Finale um den Swaythling-Cup

 

Im Kampf um den Corbillon-Cup beteiligten sich wieder zehn Nationen. Weder die Amerikanerin Ruth Aarons, die Deutsche Astrid Krebsbach oder das neue rumänischen Talent Angelica Adelstein nahmen an der Austragung teil. Damit konnte sich die Überlegenheit der tschechischen Spielerinnen entfalten. Überraschend war nur das gute Abschneiden der Damen N. Roy Evans-Jackson und E.H. Evans aus Wales, die zusammen mit den Amerikanerinnen und Ungarinnen den vierten Platz einnahmen. Den entscheidenden Wettkampf gewannen die Tschechinnen souverän mit 3:0 gegen England. Der tschechoslowakische Verband erhielt damit zum dritten Mal den Pokal der Damenmannschaften.

Platzierungen im Corbillon-Cup - Damen-Mannschaften:

1. Tschechoslowakei (MF: Z. Heydusek, V. Depretisov , J. Holubkov , M. Kettnerov , V. Votrubcov ), 2. England, 3. Österreich, 4. Ungarn, USA und Wales, 7. Frankreich, 8. Belgien, 9. Irland, 10. Niederlande.

 

Die erste Runde im Herreneinzel bereitete manchem Spieler eine herbe Enttäuschung. Beim Setzen der Teilnehmer kam es zu dem unglücklichen Umstand, dass Spieler aus derselben Nation direkt gegeneinander antreten mussten. Zudem schieden einige favorisierte und renommierte Wettkämpfer frühzeitig aus, wie der Niederländer Cor du Buy, der gegen den erstaunlich gut spielenden Ägypter Abou Heif verlor, der Angreifer Bellak, der in einem sehr kurz andauernden Duell vor allem an den Rückhand-Flick des Amerikaners Jimmy McClure scheiterte, oder der Pole "Alex" Ehrlich mit einer klaren 1:3-Niederlage gegen Sol Schiff. Das niedrigere Netz war vor allem für die Techniker aus Ungarn und der Tschechoslowakei eine gute Möglichkeit, um dem Gegner schnelle Ballwechsel aufzuzwingen. Die Tschechen Tereba, Slar und Vana und die Ungarn Hazi und Barna schafften den Weg bis ins Viertelfinale. Der amerikanische Linkshänder Sol Schiff bewies, dass er auch ohne seine Knipsaufschläge ein ausgezeichneter Spieler war. Er und der Jugoslawe Maks Marinko kamen jedenfalls durch ihren besonders aggressiven Vorhandangriff unter die letzten acht Spieler. Richard Bergmann war der einzige reine Defensivspieler, der bis in das Viertelfinale vorstoßen konnte. Im Halbfinale, das im Empire Pool Londons ausgetragen wurde, demonstrierte er mit einem 3:0-Erfolg über Hazi, dass dem Abwehrspiel immer noch eine erfolgreiche Zukunft offen stand. Mit sicheren, stark unterschnittenen Bällen ließ er seinem Gegner kaum eine Möglichkeit, um sein Angriffsspiel aufzubauen.

Die Halbfinalbegegnung zwischen dem jungen Vana und dem fast zehn Jahre älteren Barna war in der Folge der gezählten Punkte ein Kuriosum. Gerade in den entscheidenden letzten Ballwechseln wirkte der Routinier Barna sehr nervös und verlor schon fast schematisch trotz einer 16:8-, 15:9- und 16:10-Führung alle drei gespielten Sätze.

Vor vollen Rängen spielte sich das Finale der beiden führenden Personen der ITTF-Rangliste ab. Es heißt, dass die Karten für dieses große Ereignis in der Royal Albert Hall schon zwei Monate vorher ausverkauft gewesen waren. Auch ein Kamerateam der B.B.C. war anwesend. Sie übertrugen das erstemal ein Tischtennisspiel auf die Londoner Bildschirme.

Bergmann und Vana boten den Zuschauern das klassische Spiel Abwehr gegen Angriff. Bergmann stand zwischen drei bis vier Metern vom Tisch entfernt und gab die Treib- und Schmetterbälle seines Gegenübers mit flachen Unterschnittbällen zurück. Vana war bekannt für seine charakteristische Schlägerhaltung, die ihm ein geschicktes Vorhand-Angriffsspiel ermöglichte. Sein Daumen war ganz im Griff des Schlägers integriert, sodass er mit dem schrägaufliegenden Zeigefinger auf der Rückhandseite sehr viel Gefühl und Kraft für die Vorhand besaß.

Im ersten Satz konnte der ruhig wirkende Bergmann auch die meisten Schmetterbälle zurückbringen. Vana fand aber ein Mittel, um den Spielrhythmus seines Gegners erheblich zu stören. Seine gezielt eingesetzten Stoppbälle machten Bergmann chancenlos. Er konnte den überraschenden Geschwindigkeits- und Platzierungswechseln nicht mehr standhalten. Der geschickte Einsatz der Stopptechnik, bei der der Ball nur ganz leicht mit geöffnetem Schlägerblatt berührt wird und kurz hinter dem Netz herabfällt, war eine taktische Maßnahme, die Vana zu seinem letztendlich deutlichen Sieg des Finales führte.

Finale um die St. Bride Vase - Herren-Einzel:

Bohumil Vana (Tschechoslowakei) - Richard Bergmann (Österreich) 3:1 (20:22, 21:9, 21:16, 21:14).

1. Vana (Tschechoslowakei), 2. Bergmann (Österreich), 3. Hazi und Barna (beide Ungarn).

 

Im Dameneinzel beherrschten wieder die Damen der Tschechoslowakei das Teilnehmerfeld. Bemerkenswert war allerdings das weite Vordringen der erst 15-jährigen Amerikanerin Betty Henry. Mit ihr erhielt ein neuer Aspekt der Trainingstheorie Bedeutung: nicht unbedingt Kraft und langjährige Erfahrung sind für den Erfolg eines Tischtennisspielers ausschlaggebend, sondern das geschickte Anwenden von langsamen und schnellen Techniken. Erst im Halbfinale konnte sich die Allroundspielerin Vlasta Depretisov  gegen die junge Technikerin mit den genauen Platzierungen und Tempowechseln durchsetzen.

Die einzige, die die renommierten Nationalspielerinnen der Tschechoslowakei bezwang, war die Österreicherin "Trude"

 

Abb. 70 "Trude" Pritzi, Weltmeisterin 1938

 

Pritzi. Sie bewies der Öffentlichkeit, dass ihre Abwehrstrategie aus dem Schicksalsspiel der Weltmeisterschaften im Vorjahr keineswegs ihr dominierendes Spielsystem darstellte. Auch sie zeichnete sich diesmal durch ihren gezielten Einsatz von Angriff und Abwehr aus und gewann nacheinander gegen Kettnerov , Votrubcov  und im Finale sogar gegen Depretisov .

Finale um den G. Geist Preis - Damen-Einzel:

Gertrud Pritzi (Österreich) - Vlasta Depetrisov  (Tschechoslowakei) 3:0 (21:13, 21:13, 21:17).

1. Pritzi (Österreich), 2. Depetrisov  (Tschechoslowakei), 3. Henry (USA) und Votrubcov  (Tschechoslowakei).

 

Die Begegnungen der Herrendoppel zeigten einmal mehr, dass der Angriff wieder die Oberhand im Tischtennis gewonnen hatte. Die beiden bekannten Freunde Barna und Bellak, die den internationalen Tischtennissport zehn Jahre mitgeprägt hatten, schafften durch Siege über Bergmann/Göbel und Vana/Hamr noch einmal den Einzug ins Finale. Ihnen gegenüber standen der erfolgreiche Doppelspieler McClure und der Linkshänder Sol Schiff. Beim Stande von 19:16 im 5. Satz waren die Ungarn ihrem zweiten Weltmeisterschaftstitel dieses Turniers greifbar nahe. Doch gerade in dieser Situation punkteten die beiden Amerikaner fünf Mal hintereinander mit einem aggressiven Vorhand-Treibball und konnten somit ihr technisches Bewegungsrepertoire wenigstens im Doppel durch einen Titel anerkennen lassen.

Finale im Herren-Doppel:

J.H. McClure/S. Schiff (USA) - G.V. Barna/L. Bellak (Ungarn) 3:2 (21:18, 15:21, 19:21, 21:14, 21:19).

1. McClure/Schiff (USA), 2. Barna/Bellak (Ungarn), 3. Filby/Lurie (England) und Boros/Hazi (Ungarn).

 

Dem Damendoppel wurde in der Presse keine große Bedeutung beigemessen. Das spieltechnische Vermögen und die Schnelligkeit ließen im Vergleich zu dem der Herren noch einige Verbesserungen zu. Die Tschechinnen Depetrisov /Votrubcov  verteidigten in einem spannenden Spiel gegen die Ungarinnen Beregi/Ferenczy ihren Doppeltitel.

Finale im Damen-Doppel:

V. Depetrisov /V. Votrubcov  (Tschechoslowakei) - D. Beregi/M. Ferenczy (Ungarn) 3:1 (25:23, 21:18, 18:21, 21:18).

1. Depetrisov /Votrubcov  (Tschechoslowakei), 2. Beregi/Ferenczy (Ungarn), 3. Jordan/Hodgkinson (England) und Osborne/Emdin (England).

 

Im Gemischten Doppel sorgte das englisch-ungarische Paar Woodhead/Bellak für eine Riesenüberraschung. Sie spielten das erstemal zusammen und gewannen gegen so bekannte Sportler wie Emdin/Barna, Depretisov /Slar, Kettnerov /Tereba und schließlich im Finale gegen die beiden Weltersten Votrubcov /Vana im fünften Satz in der Verlängerung.

Finale im Gemischen Doppel:

W. Woodhead/L. Bellak (England/Ungarn) - V. Votrubcov /B. Vana (Tschechoslowakei) 3:2 (21:14, 16:21, 21:13, 11:21, 22:20).

1. Woodhead/Bellak (England/Ungarn), 2. Votrubcov /Vana (Tschechoslowakei), 3. Kettnerov /Tereba (Tschechoslowakei) und Pritzi/Liebster (Österreich).

 

Nach Abschluss der Wettbewerbe tagte wieder der ITTF Kongress. Aufgrund einiger Streitigkeiten um die Bälle entschieden die Abgeordneten, dass auf den zukünftigen Weltmeisterschaften nur noch mit dem "New Villa XXX Ball" gespielt werden dürfte. Die Drei-Stern-Bälle wurden einem besonderen Selektionsverfahren unterzogen: sie mussten einen bestimmten Laufparcour herunterrollen, aus dem sich die besten Bälle von selber aussortierten. Das ITTF-Gremium entschied sich für diesen Balltyp, weil die bisherigen Normen über die Beschaffenheit der Tischtennisbälle noch nicht streng genug ausgelegt waren. Verschiedene Hersteller erzeugten Bälle mit sehr unterschiedliche Eigenschaften im Sprungverhalten.

Das vereinheitlichte Material machte es den Spielern wesentlich einfacher, feststehende Schlagtechniken auszubilden. Die Tischtennislehrwerke der dreißiger Jahre befassten sich deshalb zum größten Teil mit der Beschreibung bestimmter Tischtennis-Techniken. In Ivor Montagus Table Tennis wurden Filmaufnahmen von Spitzenspielern genutzt, um in Bilderreihen die Grundstruktur bestimmter Schlagtechniken zu analysieren. Die Hauptstationen eines Bewegungsablaufs konnten in eine Ausholphase (swing back), Zwischenphase (impact and competition of stroke) und Endphase (end position) eingeteilt werden. Sie ermöglichten dem Spieler und Trainer eine genaue Gliederung der Techniken und trugen zu einer besseren allgemeinen Bewegungsvorstellung bei. Allerdings führte Montagu diese Phaseneinteilung noch nicht konsequent genug durch. Im Gegensatz zu den zwanziger Jahren konnten aber mehr Schlagtechniken unterschieden werden. Wer sich damals schon über die Schlagtechniken orientieren wollte, konnte bei den Show-Kämpfen von Barna, Vana, Bergmann und Beregi alle derzeit möglichen Varianten verfolgen. Es gab:

 

Techniken der Dreißiger Jahre

 

Schlägerhaltung:

Spinvariationen:

Schlagtechniken für den Angriff:

Schlagtechniken für die Abwehr:

unabhängig von der Spinvariation des Balls)

Showkämpfe fanden jedoch nur in England statt. Die Umstände waren äußerst widersinnig. Aufgrund des nationalsozialistischen Terrors wanderten Spieler wie Barna, Bergmann und Beregi nach England aus. Die britische Regierung erteilte in solchen Fällen keine Arbeitserlaubnis, wodurch die Betroffenen gezwungen wurden, sich über das Tischtennisspiel zu finanzieren. Die Tatsache, dass es so viele Tischtennisaustragungen gab, steigerte das Können der Spitzenspieler. Gerade in jener Zeit kam das Tischtennis einen Meilenschritt weiter.