9. Weltmeisterschaften

Wembley 1935

LETZTER GROSSER AUFTRITT VON VIKTOR BARNA

 

 

Die 9. Tischtennis-Weltmeisterschaften erstreckten sich diesmal über zehn Tage und fanden aufgrund einer erneuten Teilnehmerrekordzahl an mehreren Orten Londons statt. Doch bevor die Weltmeisterschaften am 8. Februar 1935 begannen, kamen Probleme auf, die Sportlern internationalen Ranges bisher fremd gewesen waren. Die ausgedehnte Judenhetze der Nationalsozialisten bereitete der ungarischen Vertretung große Schwierigkeiten. Da sich unter ihnen jüdische Mitspieler befanden, musste bei der Hin- und Rückreise unter Geheimhaltung der Fahrtroute deutsches Territorium gemieden werden. In England gab es Schwierigkeiten ähnlichen Charakters. Die indischen Spieler hatten in London einige Mühe, Unterkunft zu finden, denn "Farbige" waren in den Londoner Nobelhotels unerwünscht. Noch nie hatte ideologische und rassistische Rücksichtslosigkeit die Entwicklung des Sports so behindert wie zu jener Zeit.

Durch die Vertreter aus den Vereinigten Staaten, Irland und Nordirland stieg die Zahl der Teilnehmer auf siebzehn Mannschaften an. Der DTTB kritisierte heftig, dass Wales, Nordirland und Irland als eigenständige Nationen auftraten und ließ seine männlichen Nationalspieler wieder daheim. Die englischen Organisatoren W.J. Pope, A.K. Vint und der unermüdliche I. Montagu waren von diesen Boykott kaum berührt und sorgten für einen reibungslosen Verlauf der Spiele.

Die Mannschaften wurden das erste Mal in zwei Gruppen aufgeteilt.

Abb. 63 "Blick in den Turniersaal, in dem die Mannschaftskämpfe durchgeführt wurden"

Das "golden team" der Gruppe A gewann fast alle Spiele mit 5:0 oder 5:1 und verdrängte die Österreicher auf Platz Zwei. Während die Ungarn wieder souverän das Feld anführten, musste die tschechische Mannschaft durch erkämpfte 5:4-Erfolge gegen die Polen (Phorylles, Löwenherz und Ehrlich) und die Engländer (Haydon, Bergl und Miller) ihre Führung in der zweiten Gruppe behaupten.

Im Entscheidungsspiel demonstrierten die Ungarn noch einmal, dass sie unter neutralen Gegebenheiten den Tschechen überlegen waren. Obwohl Kolar, Svoboda und Hamr 3:2 in Führung gingen, konnten Barna, Szabados und Kelen noch deutlich mit 5:3 ihren Mannschaftstitel verteidigen.

Platzierungen im Swaythling-Cup - Herren-Mannschaften:

1. Ungarn (MF: A. Wilcsek, G.V. Barna, L. Bellak, T. Hazi, I. Kelen, M. Szabados)

Gruppe A: 1. Ungarn, 2. Österrreich, 3. Frankreich, 4. Jugoslawien, Lettland und Litauen, 7. USA, 8. Belgien, 9. Irland.

Gruppe B: 1. Tschechoslowakei, 2. Polen, 3. England, 4. Indien, 5. Schweiz, 6. Wales, 7. Nordirland, 8. Niederlande

 

Den Corbillon-Cup holten sich überraschend die Damen aus der Tschechoslowakei. In der Besetzung Kettnerov , Smidov  und Kleinov  scheiterten sie zu Beginn des Wettbewerbs gegen die nicht so stark eingeschätzten Engländerinnen mit Morgan und den Geschwistern Evans, doch danach konnten selbst die favorisierten deutschen und ungarischen Spielerinnen ihren Siegeszug nicht mehr aufhalten, denn sie verloren kein Spiel mehr. Durch den Erfolg über Mednyanszky und Gal erhielten sie trotz des ungarischen Gleichstands mit einem Gesamtspielverhältnis von 9:1 Punkten den Weltmeisterschaftstitel der Damenmannschaften.

Platzierungen im Corbillon-Cup - Damen-Mannschaften:

1. Tschechoslowakei (MF: Z. Heydusek, M. Kettnerov , G. Kleinov , M. Smidov ), 2. Ungarn, 3. Deutschland, 4. England, Frankreich und Wales, 7. Schweiz, 8. Belgien, Niederlande und Irland, 11. USA.

 

Die ersten Runden des Herreneinzels verliefen zunächst unübersichtlich, weil keiner der 128 Teilnehmer gesetzt worden war. Die Positionen, die sonst für die ersten acht der Weltrangliste vorgesehen waren, nahmen diesmal international vollkommen unbekannte Engländer ein. Zuletzt hoben sich aber wieder die beiden Tischtennis-"Helden" Miklos Szabados und Viktor Barna vom Feld ab. Szabados war durch einen Sieg über den Österreicher Kohn, und Barna nach einem 3:2-Kampf gegen Ehrlich, ins Finale gezogen. Es fand vor einer Kulisse von insgesamt 14.000 Zuschauern in der bekannten Wembley-Hall statt.

Die letzten Ballwechsel im 5. Satz nahmen noch einen besonders dramatischen Verlauf. Barna führte bereits 17:13, als Szabados plötzlich jeden Ball traf und eine glänzende Serie von sechs Punkten vorlegte. Beim Stande von 18:19 bekam Barna plötzlich einen heftigen Krampf im Unterarm. Das Spiel musste unterbrochen werden. Barna ließ sich seinen Arm massieren und trat wieder an den Tisch. Alle waren nun überzeugt, dass das Spiel nun gelaufen sei. Doch Barna spielte unbeirrt weiter. Drei unerreichbare Vorhand-Schmetterbälle beendeten das Match und Barna war zum fünften Mal Weltmeister.

Finale um die St. Bride Vase - Herren-Einzel:

Gyözö Viktor Barna (Ungarn) - Miklos Szabados (Ungarn) 3:2 (17:21, 21:17, 19:21, 21:11, 21:19).

1. Barna (Ungarn), 2. Szabados (Ungarn), 3. Ehrlich (Polen) und Kohn (Österreich).

Abb. 64 "Szabados (links) beglückwünscht seinen Landsmann Barna zum Sieg"

Die beiden ungarischen Damen Mednyanszky und Sipos erschienen nicht in der besten sportlichen Verfassung. Sie mussten auf Druck ihres Verbandes an den Weltmeisterschaften teilnehmen, obwohl sich beide vom Leistungstischtennis verabschiedet hatten. Mednyanszky erwartete bereits Nachwuchs und Sipos trainierte nicht mehr so häufig, wie es für ihr vielfältiges Technikrepertoire erforderlich gewesen wäre. Das Verhalten des Verbandes bewies, dass einige Funktionäre nicht mehr die Wohlfahrt der Spieler oder die Gemeinschaft der Nationen im Auge hielten. Das neue starke Nationalbewußtsein förderte den Wunsch nach repräsentativen Erfolgen. Die ungarischen Funktionäre glaubten durch das Einsetzen von Mednyanszky und Sipos, die Konkurrenz ausschalten zu können. Die offensichtliche Fehlentscheidung führte schließlich dazu, dass die beiden mehrfachen Exweltmeisterinnen direkt in den ersten Runden des Turniers ausschieden.

Ins Endspiel aber gelangte die junge Ungarin Magda Gal, die vorher die Tschechin Smidov  mit 3:0 besiegt hatte. Mit dem gleichen Ergebnis gegen die Französin Delacour schaffte Marie Kettnerov  den Einzug ins Finale. Ihr gelang mit ihrem auf Sicherheit bedachten Abwehrspiel eine erfolgreiche Titelverteidigung.

Finale um den Gaspar Geist Preis - Damen-Einzel:

Marie Kettnerov  (Tschechoslowakei) - Magda Gal (Ungarn) 3:1 (15:21, 21:18, 21:11, 21:19).

1. Kettnerov  (Tschechoslowakei), 2. Gal (Ungarn), 3. Delacour (Frankreich) und Smidov  (Tschechoslowakei).

 

Im Herrendoppel stellten die Ungarn Barna/Szabados einen Rekord auf, der wohl niemals wieder gebrochen werden kann. Sie konnten zwar im Halbfinale nur durch ein knappes 3:2 gegen ihre Landsleute Kelen/Bellak die letzte Runde erreichen, doch gegen das österreichisch-englische Paar Liebster/Haydon gewannen sie sehr deutlich. Barna/Szabados gewannen zum sechsten Mal den Titel im Herrendoppel.

Finale im Herren-Doppel:

G.V. Barna/M. Szabados (Ungarn) - A. Liebster/A.A. Haydon (Österreich/England) 3:0 (21:13, 21:16, 21:8).

1. Barna/Szabados (Ungarn), 2. Liebster/Haydon (Österreich/England), 3. Bellak/Kelen (Ungarn) und Guerin/Bedoc (Frankreich).

 

Im Damendoppel konnten sich die deutschen Damen nicht bis in die letzte Runde durchsetzen. Die Paare Krebsbach/Felguth und Bussmann mit der Engländerin Booker drangen aber immerhin bis in das Halbfinale vor. Wie ihre männlichen Kollegen holten sich Mednyanszky/Sipos ihren sechsten Titel hintereinander. Das ungarische Spitzendoppel war schon so gut eingespielt, dass sie selbst ohne Training ihren tschechichen Gegnerinnen Kettnerov / Smidov  kaum eine Chance ließen.

Finale im Damen-Doppel:

M. von Mednyanszky/A. Sipos (Ungarn) - M. Kettnerov /M. Smidov  (Tschechoslowakei) 3:1 (21:11, 18:21, 21:11, 21:15).

1. Mednyanszky/Sipos (Ungarn), 2. Kettnerov /Smidov  (Tschechoslowakei), 3. Felguth/Krebsbach (Deutschland) und Bussmann/Booker (Deutschland/England).

 

Das Gemischte Doppel war noch einmal eine Demonstration ungarischer Klasse. Allerdings zeigte sich hier auch, welche Nationalspieler immer näher an die ungarischen Leistungen herankamen. Das ungarische Paar Barna/Sipos konnte sich aber noch klar gegen das tschechische Doppel Kolar/Kettnerov  durchsetzen.

Finale im Gemischten Doppel:

A. Sipos/G.V. Barna (Ungarn) - M. Kettnerov /S. Kolar (Tschechoslowakei) 3:1 (21:19, 21:13, 20:22, 21:16).

1. Sipos/Barna (Ungarn), 2. Kettnerov /Kolar (Tschechoslowakei), 3. Osborne/Haydon (England) und Mednyanszky/Szabados (Ungarn).

 

Der neunte ITTF-Kongreß entschied nach Abschluss der Weltmeisterschaften, alle Verweisungen auf die Wörter "Amateur" und "Berufsspieler" zu streichen und durch das Wort "Spieler" zu ersetzen. Eine neue Regelung sollte Klarheit darüber verschaffen, dass auf internationalem Niveau alle Teilnehmer als 'Spieler' definiert sind.

Eine solche liberale Richtlinie ließ zu, dass Berufsspieler (wie Barna und Szabados) weiterhin an Weltmeisterschaften teilnehmen durften und die nationalen Verbände ihre eigenen Bestimmungen bezüglich der Bezahlung von Spielern festsetzten, die über die Spesen hinausgehen konnten. Die Satzungsänderung war zwar sehr förderlich für das Leistungsniveau der Spieler, doch stellte sich bald heraus, dass sie ein wesentliches Hindernis für die Anerkennung des Tischtennis als olympische Sportart war.

In Bezug auf das Spiel gab es bei diesen Weltmeisterschaften wenig Neuigkeiten. Allein im Damenbereich bahnte sich ein Ende der ungarischen Domäne an. Im Dameneinzel war vorauszusehen, dass die beiden mehrmaligen Weltmeisterinnen Ungarns ihr Niveau nicht mehr lange aufrecht erhalten würden. Aber noch ein anderer Ungar erlebte seine letzten "Sternstunden" des Einzelwettbewerbs. Nachdem Barna die Tournee eines "Tischtennis-Zirkus" durch die Vereinigten Staaten erfolgreich abgeschlossen hatte, passierte ihm in seiner neuen Wahlheimat Paris ein Unfall, der ihn in seinem Leistungsvermögen weit zurückwarf. Bei einem Motorradsturz brach er sich einige Knochen am rechten Handgelenk. Eine Edelmetallspange, die das korrekte Zusammenwachsen der Knochen bewirken sollte, behinderte vorerst erheblich seine Spielweise. Zwar konnte er immer noch gut Tischtennis spielen, aber ohne Einsatz des Handgelenkes ging ein Vielfaches seines Technikrepertoires verloren. Hier wurde offenbar, dass dem Handgelenk im Tischtennis bei der wirkungsvollen Ausführung der Techniken besondere Bedeutung zukommt. So konnte Barna lange Zeit nicht die Technik anwenden, die ihn von den anderen Spielern deutlich unterschied. Den Rückhand-Flick, der oft ganz plötzlich seinen Angriff einleitete, konnte er nicht mehr anwenden. Trotz der Behinderung spielte Barna weiter und blieb sogar noch einige Male im Doppel erfolgreich.

Die außergewöhnliche Überlegenheit Barnas in den dreißiger Jahren hat ihn zur Tischtennislegende werden lassen. Mit insgesamt 22 Weltmeisterschaftstiteln schrieb er sich in die ewige Bestenliste der ITTF ein. Noch heute tragen die Schlägerbeläge, die er verwendete, seinen Namen - Barna Noppengummi.

Wie konnte er es schaffen, über so viele Jahre hinweg Weltmeister im Tischtennis zu sein?

Barna sah sich selbst nicht einfach als talentierter Spieler, sondern vielmehr als den Kämpfer, der für seine Erfolge viel und erschöpfend trainiert hatte. Wesentliche Elemente, die den Weg zum Erfolg bereiten sollten, waren Einsatzbereitschaft und unablässige Arbeit. Seiner Meinung nach hatte fast jeder, der eine positive Grundeinstellung besaß, dass Zeug zum werdenden Star.