7. Weltmeisterschaften
Baden 1933
DIE ENTTHRONUNG VON MARIA MEDNYANSZKY
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 brach Hitlers Politik der Judenverfolgung und Gleichschaltung auf grausame Weise in soziales Leben, Kultur und Wirtschaft Deutschlands ein und zog viele Millionen Menschen in ganz Europa in Mitleidenschaft.
Fünf Tage vorher begannen in der "Trink-Kurhalle" des Kurortes Baden bei Wien die VII. Tischtennisweltmeisterschaften. Der "Athletik-Sportclub" Baden setzte alles daran, die Weltmeisterschaften in einen erfolgreichen Werbegewinn für Ort und Spiel umzusetzen. Sechzehn verschiedene Nationen nahmen diesmal teil, von denen elf beim Swaythling-Cup mitwirkten. Als neues Mitglied der ITTF trat Belgien bei den Meisterschaften auf.
Der Spielführer der ungarischen Mannschaft, Zoltan Mechlovits, hatte diesmal große Probleme, sein "golden team" zum vorbereitenden Training an einem Ort zu versammeln. Barna hielt sich in Paris auf, Bellak und Szabados wurden aufgrund disziplinarischer Vergehen vom Spielbetrieb ausgeschlossen und tingelten durch Frankreich, Kelen war in Prag aufzufinden, während die anderen ungarischen Nachwuchsspieler ihren Militärdienst ableisten mussten. Trotz alledem schaffte es Mechlovits, aus dem verbliebenen Spielerrepertoire Barna, Boros, David, Glancz und Kelen wieder ein Spitzentrio zusammenzustellen.
Abb. 57 "Blick in den Saal des Kurhauses in Baden bei Wien bei der Eröffnung der Weltmeisterschaften 1932/1933"
Direkt am ersten Spieltag kam es zur Begegnung zwischen Ungarn und der Tschechoslowakei. Diesmal blieben die Ungarn in der Aufstellung Barna, David und Kelen auch nach den überraschenden Leistungen von Kolar ruhig und konzentriert. Kolar gewann alle seine Spiele. Kelen verlor gegen Svoboda sogar noch ein zweites Spiel, und es stand für die Tschechen wieder 4:3. Doch unter den Augen objektiverer Zuschauer und Schiedsrichter ließen die Ungarn diesmal wahre psychische Wettkampfstärke erkennen und gewannen vorentscheidend mit 5:4.
Im Kampf um die obere Platzierung kam es zu kuriosen Ergebnissen von Mannschaften, die bisher nicht als so stark eingeschätzt worden waren. Die deutsche Mannschaft verlor in der Aufstellung Madjaroglou, Benthin und Nickelsburg gegen den amtierenden Weltmeister nur knapp mit 4:5. Das jugoslawische Team setzte sich souverän mit einem 5:2 gegen Österreich durch. Die deutsche Aufstellung gewann wiederum gegen die Jugoslawen klar mit 5:1, blieb in der Endabrechnung jedoch hinter ihnen. Diese Ergebnisse offenbarten die großen Unterschiede in Technik und Taktik, welche die einzelnen Spieler anwendeten, um ihre Gegner zu bezwingen. Selbst ein Spitzenspieler konnte von einer für ihn unangenehmen Spielweise eines mittelmäßigen Gegners überrascht werden. Um sich gegen möglichst viele Spieler behaupten zu können, musste man also auch die Konfrontation breit gefächerter Spielsysteme bestehen.
Trotz der großen Leistungsschwankungen in den individuellen Begegnungen waren die Platzierungen dann aber recht eindeutig.
Platzierungen im "Swaythling-Cup" - Herren-Mannschaften:
1. Ungarn (MF: Z. Mechlovits, G.V. Barna, I. Boros, L. David, S. Glancz, I. Kelen), 2. Tschechoslowakei, 3. Österreich, 4. England, 5. Lettland, 6. Jugoslawien, 7. Deutschland, 8. Indien, 9. Frankreich, 10. Wales, 11. Belgien.
Auffallend gute Leistungen brachten im Herreneinzel die tschechischen Vertreter. Wahrscheinlich hatten viele Spieler durch den Mannschaftserfolg im Vorjahr viel Ehrgeiz für ihr Training entwickelt. Die psychische Barriere der Unbesiegbarkeit des "golden team" war gebrochen. Die tschechischen Spieler waren nun davon überzeugt, dass die Ungarn zu schlagen waren. Im Viertelfinale befanden sich mit Kohn, Kolar, Grohbauer und Svoboda noch vier Tschechen, die zwei Ungarn Barna und Glancz, der Engländer Haydon und der Österreicher Kohn im Kampf um den Titel. Von ihnen erreichten der Tscheche Kolar mit einem 3:0 Sieg gegen Haydon sowie erwartungsgemäß der Titelverteidiger mit einem klaren Erfolg über Glancz das Finale.
Das Endspiel offenbarte schließlich die Diskrepanz zwischen dem ungarischen und tschechischen Meister. Barna war in den entscheidenden Gewinnsätzen nie ernsthaft gefährdet.
Finale im Herren-Einzel:
Gyözö Viktor Barna (Ungarn) - Stanislav Kolar (Tschecho-slowakei) 3:1 (21:15, 11:21, 21:17, 21:18).
1. Barna (Ungarn), 2. Kolar (Tschechoslowakei), 3. Glancz (Ungarn) und Haydon (England).
Der Durchmarsch der Ungarinnen auf die vorderen Plätze gestaltete sich bei diesen Weltmeisterschaften nicht so einfach wie bisher. Weltmeisterin Sipos hatte einige Schwierigkeiten, um gegen die deutsche Meisterin Krebsbach zu bestehen. Sie musste im 4. Gewinnsatz noch einen 1:2-Satz- und einen 9:15-Punkterückstand aufholen, um ins Halbfinale zu gelangen. Auch die Ungarin Gal hatte in der 2. Runde einen ähnlich dramatischen Kampf mit der Tschechin Kettnerova zu überstehen. Zum Schluß kam es jedoch wieder zu der Begegnung Mednyanszky gegen Sipos. Die Chancen, ihren Titel wiederzuerlangen, standen für Mednyanszky sehr gut, denn bei allen vorhergegangenen nationalen und internationalen Vorbereitungsturnieren hatte sie ihre ärgste Rivalin geschlagen. Der erste Satz dieses Finales begann auch sehr erfolgversprechend für Mednyanszky, aber Sipos arbeitete sich auf den Stand von 19:20 wieder heran. Danach gelang Sipos ein erfolgreicher "Drive", den Sipos gerade noch mit dem Schläger erwischte. Der Ball flog nur um Haaresbreite an einem Kristallüster vorbei und fiel dann auf die gegnerische Tischkante. Danach war Mednyanszky so entnervt, dass sie auch das ganze Spiel verlor.
Finale im Dameneinzel:
Annus Sipos (Ungarn) - Maria von Mednyanszky (Ungarn) 3:0 (22:20, 21:16, 21:15).
1. Sipos (Ungarn), 2. Mednyanszky (Ungarn), 3. Gal (Ungarn) und Emdin (England).
Abb. 58 Annus Sipos, Weltmeisterin 1932
Da Barna diesmal auf seinen üblichen Doppelpartner verzichten musste, war es nicht so einfach, ein Favoritendoppel auszumachen. Doch auch zusammen mit Glancz gewann Barna in einem knappen 3:2 Erfolg über Kelen und David.
Finale im Herren-Doppel:
G.V. Barna/S. Glancz (Ungarn) - I. Kelen/L. David (Ungarn) 3:2 (21:16, 20:22, 21:18, 16:21, 21:16).
1. Barna/Glancz (Ungarn), 2. Kelen/David (Ungarn), 3. Flußmann/Kohn (Österreich) und Feher/Liebster (Österreich).
Das Damendoppel wurde wieder zu einer klaren Angelegenheit für die beiden Ersten der Weltrangliste. Mednyanszky/Sipos holten sich zum vierten Male hintereinander ihren Titel.
Abb. 59 Barna und Glancz, die Weltmeister im Doppel 1933
Finale im Damen-Einzel:
M. von Mednyanszky/A. Sipos (Ungarn) - M. Racz/M. Gal (Ungarn) 3:1 (21:18, 21:23, 21:13, 21:14).
1. Mednyanszky/Sipos (Ungarn), 2. Racz/Gal (Ungarn), 3. Forbath/Reitzer (Österreich) und Schmidt/Müller-Rüster (Deutschland).
Als das Überraschungspaar im Gemischten Doppel entpuppten sich die beiden Ungarn Gal/Glancz. Sie warfen zuerst Kettnerov / Svobod und anschließend die großen Favoriten Sipos/Barna aus dem Rennen und schafften somit den Einzug in das Endspiel. Dort trafen sie noch einmal auf zwei erfahrene Doppelspieler. Kelen, der seit seinem Erfolg im Jahre 1929 dem Gemischten Doppel etwas aufgeschlossener gegenüberstand, gewann zusammen mit Mednyanszky den letzten Wettbewerb der Weltmeisterschaften.
Finale im Gemischten Doppel:
M. von Mednyanszky/I. Kelen (Ungarn) - M. Gal/S. Glancz (Ungarn) 3:2 (21:8, 21:19, 14:21, 12:21, 21:18).
1. Mednyanszky/Kelen (Ungarn), 2. Gal/Glancz (Ungarn), 3. Schulz/Madjaroglou (Deutschland) und Sipos/Barna (Ungarn).
Außer den fünf üblichen Titeln wurde in Baden noch der "Karl-Andreika-Preis" für die erfolgreichste Nation der letzten drei Weltmeisterschaften verliehen. Mit den gesammelten Punkten von 1931 (42 Punkte), 1932 (41,5 Punkte) und 1933 (40 Punkte) ging auch dieser an die Ungarn.
Doch obwohl es fast immer dieselben waren, die alle Titel gewannen, blieb die Entwicklung besonderer koordinativer Leistungen nicht stehen. Allein mit dem Rückhand-Schupfball und einem Rückhand-"plain hit" konnte Mednyanszky keine internationale Meisterschaft mehr gewinnen. Um ihr Niveau zu halten, war sie gezwungen, sich auf ein schnelleres Spiel einzustellen und auch mit der Vorhand anzugreifen. Gelang es ihr nicht, mit einem Vorhand-"Drive" ihre guten Gegnerinnen in die Defensive zu drängen, so konnte sie allein durch ein sicheres Zurückspielen nicht mehr gewinnen. Die zweite Niederlage im Damenfinale trug schließlich dazu bei, dass sie vom ersten Platz der Rangliste entthront wurde. Die Verbesserung der Technik und der Schnelligkeit konnte nur noch mit einem durchgehenden Trainingspensum erfolgen. Von Fred Perry wurde sogar behauptet, er hätte nur deshalb zum Tennis gewechselt, weil ihm das Tischtennis zu aufwendig und schnell wurde.
Die fleißigen jungen ungarischen Spieler fielen deshalb besonders durch ihre Angriffs-Techniken auf. An erster Stelle muss hier Bellak genannt werden, der sich mit seinem Rückhand-"plain-hit" immer wieder Aufmerksamkeit verschaffte. Er war einer der wenigen, die sowohl mit der Vorhand als auch mit der Rückhand schmettern konnten. Ähnlich aggressiv war Barnas Flick. Barna konnte aus naher und ferner Distanz zum Tisch durch ein plötzliches Umkippen des Handgelenkes in den Angriff übergehen. In Showkämpfen präsentierte er diesen Schlag sogar noch mit einem gleichzeitigen Luftsprung. Viele Spieler versuchten, diese Schlagarten nachzuahmen, mussten aber bald einsehen, dass solch individuellen Techniken ihren Schöpfern vorbehalten waren.
Für die reinen Angriffsspieler war es sehr schwierig, sich auf das oft wechselnde Sprungverhalten der Bälle einzustellen. Die Tische und Bälle hatten zwar schon genaue Maßbestimmungen, doch der Elastizitätsgrad der beiden Requisiten schwankte erheblich. Die Materialunterschiede konnten sogar dazu führen, dass bestimmte Spielsysteme ihren Vorzug bekamen. So bevorzugten die beiden Tschechen Lauterbach und Kolar ein auf Sicherheit bedachtes Abwehrsystem, weil sie in ihrer Heimat auf "langsameren" Tischen spielten. Diese Tische hatten eine weiche Oberfläche, die durch den langsam abspringenden Ball das Abwehrspiel begünstigte.
Eine Mischung aus Abwehr- und Angriffsspiel war sehr wichtig für die vielfältigen Entfaltungsmöglichkeiten des Tischtennis. Es erwies sich später, dass ein Ungleichgewicht zwischen den beiden großen Spielsystemeinteilungen Abwehr und Angriff ein Hemmschuh für die Popularität und Entwicklung wird. Der äußere Betrachter findet einseitiges, technikarmes Tischtennis unattraktiv. Das Problem eines solchen Prozesses tauchte bald bei einer der nächsten Weltmeisterschaften auf.