6. Weltmeisterschaften

Prag 1932

DAS TISCHTENNIS ALS VOLKSSPORT

 

 

Die VI. Weltmeisterschaften im Tischtennis fanden vom 25.-30. Januar 1932 in Prag statt. Wieder einmal waren die Räumlichkeiten für die Spieler und Zuschauer äußerst beschränkt. Der Saal des Nationalheims in Smichov ließ nur den Aufbau von fünf Tischen zu, und die Zuschauer drängten sich auf den für sie vorgesehenen Plätzen; der geregelte Ablauf der Weltmeisterschaften wurde durch solche äußere Hindernisse sehr gestört.

 

 

Abb. 56 "Gruppenbild der Teilnehmer am Swaythling-Pokal"

 

Zwar konnten die Vertreter aus Rumänien und Schweden aufgrund der noch anhaltenden wirtschaftlichen Depression aus Kostengründen nicht teilnehmen, dafür sandte aber der französische Verband seine Debütmannschaft nach Prag. Insgesamt nahmen wieder zehn Mannschaften beim Spiel um den Swaythling-Cup teil.

Bis zum letzten Spiel des "golden team" mit Szabados, Barna und Bellak und der tschechischen Mannschaft mit Lauterbach, Kolar und Malecek gab es keine nennenswerten außergewöhnlichen Ergebnisse. Österreich war bereits mit einem Spielverhältnis von 8:1 zum Abschluss seiner Wettkämpfe gekommen. Die Tschechen hatten gegen sie verloren und mußten mit einem Punktestand von 7:1 als letzte noch gegen das "golden team" spielen, das mit einer Siegesserie von 8:0 Punkten führte. Alle Beobachter erwarteten nun, dass sich die Ungarn zum sechsten Male den Mannschaftspokal holen würden. Doch es kam alles ganz anders.

Szabados verlor überraschend gegen den Tschechen Lauterbach mit 20:22 im dritten Satz. Noch erstaunt über den Sieg des Tschechen musste danach Barna gegen Kolar antreten. Hier kam es gleichfalls zum dritten Satz. Im entscheidenden Moment regte sich Barna über eine Schiedsrichterentscheidung auf und scheiterte schließlich mit dem gleichen Ergebnis. Als die beiden Weltersten die Eingangsspiele verloren, ahnten die aufgedrehten Zuschauer eine Sensation. Und tatsächlich - unter dem Druck der lauten Zuschauermenge wurde die ungarische Mannschaft schließlich so nervös, dass sie sich 0:5 geschlagen geben mussten.

Am vierten Weltmeisterschaftstag kam es nach dem überraschenden Gleichstand von Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei zu den Entscheidungsspielen. In dieser Finalrunde scheiterte Österreich sowohl gegen Ungarn (5:1), als auch gegen die zuvor besiegten Tschechen (5:2). Damit kam es zu einer zweiten Auflage des alles entscheidenden Spiels, in dem die Ungarn für den so risikoreich spielenden Bellak den erfahreneren Kelen einsetzten, der schon öfters mit den Tschechen zusammen gespielt hatte.

Doch auch diese Aufstellung verhalf den Ungarn nicht zum Sieg. Der Tscheche Lauterbach, der erst seit drei Jahren Tischtennis spielte, bezwang alle drei ungarischen Spieler. Zu allem hatten die amtierenden Weltmeister noch besonderes Pech. Szabados verstauchte sich im Spiel gegen Kolar beim Stand von 20:20 im dritten Satz den Fuß und verlor. Jeder der ungarischen Spieler konnte nur ein Spiel gewinnen, so dass die tschechoslowakische Mannschaft die ungarische Siegesfolge der letzten fünf Weltmeisterschaften endlich unterbrechen konnte.

Nebenbei soll noch bemerkt werden, dass die deutsche Mannschaft in der Aufstellung Nickelsburg, Benthin, Caro und Madjaroglou mit dem fünften Rang eine Platzierung einnahm, die erst dreißig Jahre später übertroffen wurde.

Plazierungen im "Swaythling-Cup" - Herren-Mannschaften:

1. Tschechoslowakei (MF: J. Kraus, M. Grobauer, S. Kolar, J. Lauterbach, A. Malecek, F. Nickodem), 2. Ungarn, 3. Österreich, 4. Lettland, 5. Deutschland, 6. Indien, 7. England, 8. Jugoslawien, 9. Litauen, 10. Frankreich.

 

Im Herreneinzel schien es, als ob die beiden ungarischen Tischtennishelden Barna und Szabados für ihr überraschend schwaches Abschneiden bei den Entscheidungskämpfen der Mannschaften eine Entschädigung bieten wollten.

Sie qualifizierten sich wieder beide für das Endspiel. Barna gewann im Halbfinale mit 3:0 über Boros, und Szabados setzte sich mit 3:1 gegen den Österreicher Kohn durch.

Im Finale demonstrierten die Beiden ihr einzigartiges Können. Von der Verkrampfung und Nervosität im schicksalhaften Mannschaftswettbewerb war ihnen nichts mehr anzumerken. Hier bewies vor allem Barna, dass er durchaus auch in kritischen Situationen die Nerven behalten konnte. Nach einem 2:1 Rückstand erzwang er noch beim Stande von 16:19 den Entscheidungssatz. Innerhalb der letzten entscheidenden Punkte lag Szabados sogar noch 17:13 in Führung und konnte trotzdem seinen Weltmeistertitel nicht verteidigen. Der Matchball des Endspiels soll sehr spektakulär gewesen sein, denn Szabados brachte aus fünf Metern Entfernung mehrmals den Ball zurück, bis Barna den siegbringenden Stoppball kurz hinter das Netz setzte.

Finale im Herren-Einzel:

Gyözö Viktor Barna (Ungarn) - Miklos Szabados (Ungarn) 3:2 (21:19, 14:21, 16:21, 21:19, 21:18).

1. Barna (Ungarn), 2. Szabados (Ungarn), 3. Boros (Ungarn) und Kohn (Österreich).

 

Auch im Dameneinzel dominierten wieder die ungarischen Spielerinnen. Annus Sipos zeigte bei diesen Weltmeisterschaften, dass sie nicht nur technisch, sondern auch psychisch stark war. Im Spiel gegen die Deutsche Hänsch verlor sie den ersten Satz 2:21, konnte aber nach einer taktischen und innerlichen Besinnung das Spiel mit 3:2 Sätzen gewinnen. Die deutsche Vizeweltmeisterin Müller-Rüster verlor im Viertelfinale gegen Magda Gal, so dass schließlich die tschechische Meisterin die einzige nicht ungarische Spielerin war, die bis ins Halbfinale vordringen konnte.

Im Finale stand, wie in allen fünf Weltmeisterschaften zuvor, wieder Maria Mednyanszky. Sie galt bei den Tischtennisspielern mittlerweile als unbesiegbar. Diesmal trat sie aber gegen Annus Sipos an - eine Spielerin, die Mednyanszkys Spielstil genau kannte und als Mitglied in drei verschiedenen Budapester Tischtennisclubs alles daran gesetzt hatte, um endlich selbst den Weltmeisterschaftstitel in Empfang zu nehmen.

Und tatsächlich, nach einem hart erkämpften ersten Satz schlug sie mit einem 3:0 Erfolg die siegesgewohnte Mednyanszky.

Finale im Damen-Einzel:

Annus Sipos (Ungarn) - Maria von Mednyanszky (Ungarn) 3:0 (21:17, 21:16, 21:19).

1. Sipos (Ungarn), 2. Mednyanszky (Ungarn), 3. Gal (Ungarn) und Smidov  (Tschechoslowakei).

 

Im Herrendoppel gab es von Anfang an keinen Zweifel, wer die größten Aussichten auf einen Titel hatte. Die beiden Rekordweltmeister Barna und Szabados beherrschten schon seit drei Jahren die Wettkampfszene, und auch diesmal gewannen sie im Finale überlegen mit 3:1. Hätten die Engländer Bull/Jones nicht noch das Doppel Kelen/David im Viertelfinale ausscheiden lassen, wäre es wieder zu einem vollständigen Triumph der Ungarn auf den ersten drei Plätzen gekommen.

Finale im Herren-Doppel:

G.V. Barna/M. Szabados (Ungarn) - S. Glancz/L. Bellak (Ungarn) 3:1 (21:15, 21:19, 18:21, 21:18).

1. Barna/Szabados (Ungarn), 2. Glancz/Bellak (Ungarn), 3. Boros/Hazi (Ungarn) und Bull/Jones (England).

 

Parallel zum Herrendoppel gab es das bereits zweifache Weltmeisterpaar bei den Damen. Mednyanszky/Sipos hatten im Endspiel gegen die tschechische Konstellation Braun/Smidov  keine großen Schwierigkeiten, um ihren Titel zu verteidigen.

Finale im Damen-Doppel:

M. von Mednyanszky/A. Sipos (Ungarn) - E. Braun/M. Smidov  (Tschechoslowakei) 3:0 (21:17, 21:14, 21:13).

1. Mednyanszky/Sipos (Ungarn), 2. Braun/Smidov  (Tschechoslowakei), 3. Paslakov /Zdobnick  (Tschechoslowakei) und Gal/Denker (Ungarn/Deutschland).

 

Der krönende Abschluß bildete wieder das Gemischte Doppel. Allerdings spielten die dreißig Paare ohne jeglichen Wettkampfeifer. Dieser Wettbewerb wurde immer noch eher als ein netter gesellschaftlicher Turnierabschluß gesehen. Im Endspiel stand wieder das Quartett der Welt- und Vizeweltmeister am Tisch. Sipos/Barna konnten dem amtierenden Weltmeisterpaar Mednyanszky/Szabados ohne große Mühe den Titel abnehmen.

Finale im Gemischten Doppel:

A. Sipos/G.V. Barna (Ungarn) - M. von Mednyanszky/M. Szabados (Ungarn) 3:0 (21:13, 21:7, 21:18).

1. Sipos/Barna (Ungarn), 2. Mednyanszky/Szabados (Ungarn), 3. Gal/Glancz (Ungarn) und Smidov /Jilek (Tschechoslowakei).

 

Zum Ende der Weltmeisterschaften hatten die ungarischen Vertreter die Titelvergaben zum vierten Mal fast für sich alleine entschieden. Nur der Swaythling-Cup ging an den tschechoslowakischen Verband, und den wollten sich die Ungarn auf jeden Fall wieder zurückholen.

Ivor Montagu und Zoltan Mechlovits stellten die erste offizielle Weltrangliste der ITTF auf. Berücksichtigt wurden neben den Weltmeisterschaftsplatzierungen auch die English Open und die Internationalen Meisterschaften in Berlin, Wien und Paris. Nach solchen Kriterien nahmen die plazierten Weltmeisterschaftsteilnehmner nicht immer die vordersten vier Plätze ein. Die Rangliste lautete wie folgt:

Herren: 1. Barna, 2. Szabados, 3. Lauterbach, 4. Kohn, 5. Jones, 6. David, 7. Kolar, 8. Kelen, (...)

Damen: 1. Mednyanszky, 2. Sipos, 3. Smidov , 4. Gubbins, 5. Gal, 6. Bromfield, 7. Müller-Rüster, 8. Emdin, (...)

Die allgemeinen wirtschaftlichen Missstände, die nun schon über zwei Jahre lang die Menschen in den USA und Europa in die Arbeitslosigkeit trieben, bedeutete für den Tischtennissport weiterhin keine großen Einschränkungen. Im Gegenteil - Tischtennis wurde in allen Volksschichten populär. Der DTTB brachte sogar in jenem Krisenjahr zusammen mit dem Österreichischen Tischtennisverband (Ö.T.T.V.) seine erste eigene Zeitschrift heraus. Die Beliebtheit des Tischtennisspiels lag vor allem an dem gestiegenen Freizeitpensum, dass durch die Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit entstanden war. Aber auch die eigenen günstigen Voraussetzungen des Spiels kamen wieder einmal zugute: Die preisgünstige Ausrüstung, der geringe Raumbedarf des Spiels und der Partnercharakter waren positive Kriterien, die Zuspruch in breiten Schichten fanden.

Scharten sich ein oder zwei Jahre zuvor noch die Interessierten um Eintrittskarten für die Show-Kämpfe der Ungarn, so wollte man jetzt lieber selber aktiv sein. Die Turniernennungen erreichten neue Rekordzahlen. So gingen z.B. bei den regionalen "Meisterschaften der Kurpfalz" in Heidelberg über 320 Meldungen ein.

Kein Wunder, dass zu jener Zeit der Rundlauf sehr populär wurde, weil bei diesem Spiel beliebig viele Teilnehmer an einem Tisch spielen können, bis sie nach einem Fehler ausscheiden. Übrigens wurde der Rundlauf damals in Deutschland "Chinesisch" genannt, weil "die stets fröhlichen Gesichter der Mitspieler als Heimat des Spieles das Land des Lächelns vermuten" ließen.

Trotz des hohen Zugangs zum Tischtennis änderte sich an den Gegebenheiten des Spitzen- und Leistungssports wenig. Wer nicht Mitglied in einem Verband war und nicht genug Geld für geeignete Wettkampffahrten besaß, hatte auch kaum eine Chance, Nationalspieler zu werden. Dies war sicherlich auch ein wichtiger Grund dafür, warum bei den Weltmeisterschaften der zwanziger und dreißiger Jahre immer wieder dieselben Spieler über Jahre hinweg als Repräsentanten ihrer Nation auftraten.

In Deutschland hielt der neue Zustrom in die Vereine und Gemeinschaften auch nicht lange an. Die Hauptursache für den starken Rückgang der jugendlichen Spieler lag an dem neuen Umfeld deutscher Medienpropaganda. Diese sorgte nach der politischen Wende dafür, dass die Jugendlichen in staatseigenen Organisationen für nationalsozialistische Zwecke ausgebildet wurden.