4. Weltmeisterschaften

Berlin 1930

BEGINN DER ÄRA VIKTOR BARNA

 

 

Die vierten Weltmeisterschaften fanden durch die Unternehmungen des ITTF Initiators und DTTB Präsidenten Dr. Georg Lehmann vom 22.-27. Januar 1930 in Berlin statt.

Dank der Unterstützung des Warenhauses Wertheim konnten sie tagsüber in dem mit Perserteppichen ausgestatten "Orientalischen Saal" stattfinden. Vom Abend bis teilweise in die Mitternacht verlegte man die Wettkampfstätte in den Festsaal einer Brüdergemeinschaft am Kurfürstendamm. Bälle und Tische stellten die zwei renommierten Tischtennis-Artikelhersteller Hanno und BuS zur Verfügung.

Zehn Nationen spielten um den Swaythling-Cup , - dieselben wie in Budapest mit Ausnahme von Jugoslawien, an dessen Stelle Indien erneut teilnahm. Der "Kampf der Nationen" verlief über drei Tage. Nach dem erfolgreichen Abschneiden der Ungarn bei bisherigen Weltmeisterschaften und den vielen Siegen bei deutschen Stadtturnieren wurden allerseits klare Siege der Ungarn erwartet. Auch bei der Platzierung der einzelnen Spieler konnte man gute Voraussagen über deren Leistungsstärke treffen, denn jeder der guten Spieler hatte bereits in vorhergehenden internationalen Turnieren in England, Frankreich, Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei sein Können unter Beweis gestellt. Bis auf das englische Team, in dem Haydon und Perry fehlten, waren alle Mannschaften durch ihre besten Spieler vertreten.

 

Abb. 49 Die englische Mannschaft hatte ohne ihre Spitzenspieler Perry und Haydon wenig Erfolgsaussichten.

 

Nach Spielbeginn demonstrierten die Ungarn ihre Überlegenheit in allen neun Spielen mit einem 5:0-Sieg. Nur die deutsche Mannschaft schaffte mit 1:5 einen Ehrenpunkt, als ihr Spitzenspieler Madjaroglou Szabados eine überraschende Niederlage beibrachte. Der aus Griechenland stammende Madjaroglou war der einzige Spieler im deutschen Team, der auch auf internationaler Ebene Erfolge verzeichnen konnte. Er galt als ein Spieler mit robuster Körperkonstitution und starkem Willen, der sein Spiel bis zum letzten Punkt nicht verloren gab. Insgesamt konnte die deutsche Mannschaft gegen Indien (5:4), Litauen (5:1) und Wales (5:0) gewinnen und belegte den siebten Platz. Durch Siege über die Tschechen und die Österreicher konnten die Schweden mit Nilsson, Bülow und Kolmodin den zweiten Platz einnehmen.

Platzierungen im "Swaythling-Cup" - Herren-Mannschaften:

1. Ungarn (MF: Z. Mechlovits, G.V. Barna, L. Bellak, L. David, I. Kelen, M. Szabados), 2. Schweden, 3. Tschechoslowakei, 4. Österreich, 5. Lettland, 6. England, 7. Deutschland, 8. Indien, 9. Wales, 10. Litauen.

 

Am Herreneinzel nahmen diesmal 91 Spieler teil. Schon vor dem Viertelfinale waren alle deutschen Spieler ausgeschieden. Unter den letzten acht Spielern waren die fünf Ungarn Barna, Bellak, Kelen, Dr. Szegedi und David, die beiden Österreicher Flußmann und Liebster und der Tscheche Nikodem. Die Ungarn brachten nun ihr technisches Können und ihre Spielerfahrung zur Entfaltung und rückten schließlich zu viert ins Halbfinale vor. Hier schafften sowohl Bellak gegen den neuen Pen-Holderspieler David als auch Barna gegen Kelen erst nach einem spannenden Kampf im fünften Satz den Einzug ins Finale.

Abb. 50 Gyözö Viktor Barna als siebzehnjähriger Spieler

 

Da sich Bellak von vornherein keine großen Chancen gegen Barna zugestand, bestritt man im Finale einen Schaukampf, der alle besonderen Schläge der beiden Spieler vorführen sollte. Vor allem die Kunststücke von Barna fanden so viel Beachtung, dass er gar als "der Lacoste des Tischtennis" bezeichnet wurde. Sein Sieg rief auf den vollen Zuschauerrängen minutenlangen Beifall hervor.

Finale im Herren-Einzel:

Gyözö Viktor Barna (Ungarn) - Laszlo Bellak (Ungarn) 3:1 (21:14, 16:21, 21:16, 21:12).

1. Barna (Ungarn), 2. Bellak (Ungarn), 3. Kelen und David (beide Ungarn).

 

Das Feld der Damen bestand diesmal aus 28 Spielerinnen, von denen nur zehn aus dem Ausland kamen. Ohne die Teilnahme von Frau Metzger hatten die deutschen Spielerinnen keine Chance auf einen Titelgewinn. Der Abstand zwischen der amtierenden ungarischen Weltmeisterin Mednyanszky und den anderen Spielerinnen war zwar etwas geringer geworden, doch bereitete es ihr immer noch keine großen Schwierigkeiten, um durch einen 3:1 Sieg gegen die Österreicherin Kolbe ins Finale zu kommen. Hier erwartete sie aber in Annus Sipos aber eine ebenbürtige Gegnerin, die ohne einen Satzverlust ins Endspiel vorgedrungen war. Maria von Mednyanszky gewann zwar mit 3:2, geriet aber gegen die technisch überlegene Annus Sipos zum ersten Mal bei einem Titelkampf in größere Schwierigkeiten. In Anerkennung zu den technischen Leistungen ihrer Gegnerin gab sie bekannt, dass die intelligentere Spielerin gewonnen habe.

Finale im Damen-Einzel:

Maria von Mednyanszky (Ungarn) - Annus Sipos (Ungarn) 3:2 (21:18, 21:15, 21:23, 11:21, 21:15).

1. Mednyanszky (Ungarn), 2. Sipos (Ungarn), 3. Kolbe und Wildam (beide Österreich).

 

Im Herrendoppel überraschten noch einmal die Schweden, die mit Nilsson/Kolmodin die internationalen deutschen Meister Kelen/ David schon in der 2. Runde aus dem Feld warfen. Allerdings scheiterten sie nach dieser guten Leistung im Halbfinale gegen

Abb. 51 Barna und Szabados in ihren sportlichen Pumphosen

 

die Routiniers Liebster/Thum. Barna/Szabados kamen nach einem Sieg über ihre Landsleute Glancz/Bellak ins Finale und besiegten die Österreicher deutlich mit 3:1 Sätzen.

Finale im Herren-Doppel:

G.V. Barna/M. Szabados (Ungarn) - A. Liebster/R. Thum (Österreich) 3:1 (21:11, 21:14, 20:22, 21:18).

1. Barna/Szabados (Ungarn), 2. Liebster/Thum (Österreich), 3. Glancz/Bellak (Ungarn) und Nilsson/Kolmodin (Schweden).

 

Das Damenpaar Mednyanszky/Sipos war den anderen Damen so überlegen, dass sie alle Spiele souverän gewannen.

Finale im Damen-Doppel:

M. von Mednyanszky/A. Sipos (Ungarn) - M. Gal/Komaroni (Ungarn) 3:0 (21:12, 21:12, 21:19).

1. Mednyanszky/Sipos (Ungarn), 2. Gal/Kamaroni (Ungarn), 3. Kolbe/Neumann (Österreich) und Wildam/Reitzer (Österreich).

Abb. 52 "Die hervorragenden ungarischen Damen (v.l.n.r.):

Frl. Sipos, Frau Mednyanski, Frau Gal, Frau Kameroni"

 

Beim Gemischten Doppel gelangten zwar Kelen/Sipos durch einen Sieg über das deutsch-ungarische Paar Carnatz/Glancz wieder ins Finale, konnten aber ihren Titel gegen Mednyanszky/Szabados nicht verteidigen. Dem Gemischten Doppelwettbewerb wurde übrigens so wenig Bedeutung beigemessen, dass die deutsche Presse nicht darüber berichtete.

Finale im Gemischten Doppel:

M. von Mednyanszky/M. Szabados (Ungarn) - A. Sipos/I. Kelen (Ungarn) 3:1 (22:20, 21:18, 16:21, 21:19).

1. Mednyanszky/Szabados (Ungarn), 2. Sipos/Kelen (Ungarn), 3. Gal/Barna (Ungarn) und Carnatz/Glancz (Deutschland/Ungarn).

 

Nach dem Abschluss aller Wettbewerbe hatten die Ungarn zum vierten Male ihre Überlegenheit bewiesen. Sie hatten wieder alle zu vergebenden Titel an sich gebracht. In der Presse äußerte man sich schlechthin nur noch über die Domäne der Ungarn.

Neu bei diesen Weltmeisterschaften war allerdings nicht das Endergebnis sondern ein Umstand, der sich wiederum auf die Verquickung wirtschaftlicher und sportlicher Interessen bezog. Die großen Warenhäuser hatten das Tischtennis für ihre Werbezwecke entdeckt. Das geschah natürlich nicht immer zugunsten des Sports, wie z.B. seinerzeit bei den Tischen, sondern stand im Interesse der Werbung, um den Bekanntheitsgrad des Ausrichters zu erhöhen. So kam es bei nachfolgenden Turnieren in Deutschland vor, dass Klosterschulen, Flughafenrestaurants oder Kaufhäuser ihre Räumlichkeiten für Tischtennisturniere zur Verfügung stellten, um dort so genannte "Exhibition Matches" mit Preisgeldern durchzuführen.

Ein Schritt zieht den nächsten nach sich; der erste finanziell unterstützte Ausländer, der in einer deutschen Mannschaft spielte, war der ungarische Student Glancz. In der Mannschaft des Berliner T.T.C. Borussia bestritt er einige nationale und internationale Wettkämpfe gegen andere Stadtmannschaften und nahm auch teil an den vielen Turnieren, die zwischen November und März in Deutschland stattfanden.

Aber auch die ungarischen Weltmeister verdienten sich ihr Geld auf einer Europatournee. Sie gastierten in Zagreb, Wien, Paris und Berlin, um ihre Kunststücke vorzuführen.

Und noch ein Ereignis fand im Zuge der Stadtturniere statt; in Kiel kam man das erste Mal mit dem ostasiatischen Spiel in Kontakt und stellte sofort fest, dass auch in China das Tischtennis seinen Fortgang gefunden hatte. Der chinesische Student Dschou, der durch seine Pen-Holder-Schlägerhaltung und sein geschicktes Spiel auf sich aufmerksam machte, gewann in Norddeutschland ein regionales Turnier. Das asiatische Spiel sollte aber erst in den fünfziger Jahren mehr Bedeutung erlangen.

Die Hoffnung der Vereine, ebenso erfolgreichen Nachwuchs präsentieren zu können wie die Ungarn, trug schließlich dazu bei, dass Schul-Turniere durchgeführt wurden, um hier eventuell schon talentierte Spieler ausfindig zu machen. Es ist jedoch nicht bekannt, dass die Sieger weiter gefördert worden sind, so dass eine neue Talentelite über einen längeren Zeitraum fehlte.

Trotz einer fehlenden Trainingsplanung und der andauernden weltweiten Wirtschaftsdepression ging die Entwicklung des Tischtennis weiter. Aus den Sportzeitungen kann man entnehmen, dass auch während der Wirtschaftskrise der Wettkampf- und Turnierbetrieb unentwegt voranging, und diese Tendenz war auch auf internationaler Ebene erkennbar.

So bemühten sich Irland und die USA um die Aufnahme in die ITTF. Sie gaben schon bald ihr Debüt bei den Weltmeisterschaften. Nächster Austragungsort war wieder Budapest.