2. Weltmeisterschaften
Stockholm 1928
TISCHTENNIS UNTERM ZIRKUSZELT
Bei den Vorbereitungen zu den 2. Tischtennisweltmeisterschaften tauchten für den 1. Vorsitzenden des Schwedischen Tischtennisverbandes, Carl Linde, so viele Schwierigkeiten auf, dass die Wettkämpfe erst vom 25.-29. Januar 1928 durchgeführt werden konnten. Wesentliche Unterstützung erhielt das Vorhaben hier wieder durch die Zeitung Idrottsbladet. Die mit viel Aufwand betriebenen Weltmeisterschaften in London hatten das Tischtennis so populär gemacht, dass jene immer mehr einem sportlichem Spektakel glichen.
So gingen für das Herreneinzel immerhin 59, für das Dameneinzel 12 und für die Doppel 42 Nennungen ein! Die beengte Boxhalle in Tjärhofsgatan ließ für die vielen Zuschauer kaum noch Platz. Sie protestierten heftig gegen diesen Zustand und kurzerhand mussten die Organisatoren die Weltmeisterschaften in einen Zirkus verlegen.
Bei den Mannschaftswettkämpfen waren mit Schweden und dem Überseenachbarn Lettland zwei neue Nationen in Konkurrenz um den Swaythling-Cup vertreten. Die Wettkämpfe versprachen gleich zu Beginn einen ähnlich spannenden Verlauf wie zuvor in London. Schon am ersten Spieltag scheiterten die favorisierten Ungarn mit der Besetzung Mechlovits, Dr. Jacobi und Bellak gegen England mit 2:7. Nach diesem klaren Sieg stand schon fest, dass die Engländer die große Chance hatten, den begehrten Swaythling-Cup zu gewinnen. Mit dem Trio Bull, Haydon und Perry gewannen sie gegen alle Mannschaften bis zu ihrem letzten Spiel gegen Österreich, indem sie dann nach einer 4:1-Führung noch eine unerwartete 4:5-Niederlage hinnehmen mussten. Hier zeigte sich, was für ein großer Leistungsabfall durch einen übermäßigen Erwartungsdruck erfolgen kann. Das beste Beispiel bietet die Begegnung Fred Perry gegen den Österreicher Robert Thum. Im Kampf um den fünften und entscheidenden Punkt der Mannschaftswertung verlor Perry klar mit 16:21 und 14:21. Zwei Tage später gewann er gegen denselben ganz souverän mit 3:0. Ähnliche Situationen dieser Art werden uns durchgehend in der Geschichte des Tischtennis begleiten.
Nach jenem schicksalhaften Mannschaftswettkampf hatten England, Österreich und Ungarn jeweils eine Niederlage in der Endwertung erlitten. Sie mussten in einer Endausscheidung nochmals gegeneinander antreten. Ungarn besaß wieder die besten Chancen auf den Swaythling-Cup, da es zuvor gegen Österreich mit 5:0 gewonnen hatte und Fred Perry im zweiten Spiel gegen Österreich seine Hand verstauchte. Sie konnten es sich sogar leisten, Dr. Daniel Pecsi, der am schlechtesten gespielt hatte, durch den jungen Spieler Glancz zu ersetzen und verteidigten in dieser Aufstellung den Swaythling-Cup mit jeweils 5:2 Punkten.
Plazierungen im "Swaythling-Cup" - Herrenmannschaften:
1. Ungarn (SF: Z. Mechlovits, L. Bellak, S. Glancz, Dr. R. Jacobi, Dr. D. P‚csi), 2. Österreich, 3. England, 4. Lettland, 5. Schweden, 6. Tschechoslowakei, 7. Deutschland, 8. Wales, 9. Indien.
Nach dem relativ schlechten Abschneiden im Mannschaftswettbewerb war vielen deutlich geworden, dass Dr. Jacobi seinen Titel im Herreneinzel nicht verteidigen konnte. Nur die Spieler, die durch regelmäßiges und konsequentes Spiel ihre Bewegungsfertigkeiten schulten, waren in der Lage einen Weltmeisterschaftstitel zu gewinnen. Für Jacobi, der bei weitem nicht so ein großes Trainingspensum ablegte wie seine jüngeren Kollegen, kam deshalb in der 3. Runde gegen den erst 16-jährigen Engländer Adryan Haydon schon der "Knock-Out". Auch sein Landsmann Dr. Pecsi, der mit ihm zusammen in London das beste Doppelpaar gebildet hatte, schied sehr schnell aus. Doch hiermit war den ungarischen Hoffnungen noch keine Ende gesetzt worden. Während die anderen teilnehmenden Nationen immer nur einen oder zwei Spitzenspieler aufweisen konnten, besaßen die Ungarn mehrere gute Spieler, die auch recht unterschiedliche Spielsysteme anwendeten.
Ein einfaches Spielsystem konnte darin bestehen, den Ball durch eine kontrollierte Unterschnittabwehr möglichst lange im Spiel zu halten. Dr. Pecsi war damals ein Meister dieser passiven Abwehr. Einen Angriffsball schlug er nur in ganz bestimmten Situationen und er deckte fast den ganzen Tisch mit der Rückhand ab.
Im Gegensatz zu dem extremen Sicherheitsspiel Pecsis stand Bellak, der mit seinem Rückhand- und Vorhand-"plain-hit" versuchte, möglichst selber die Initiative in die Hand zu nehmen. Der "plain-hit" ist am ehesten mit dem heutigen Konterball zu vergleichen.
So war es dann auch möglich, dass die Ungarn sich auch in zukünftigen Weltmeisterschaften gegen sämtliche Techniken und Taktiken fremder Spieler behaupten konnten, weil sie mit ihren Abwehr- und Angriffspielern über die vielfältigsten Spielsysteme verfügten.
Wie zuvor in London standen sich auch diesmal zwei Ungarn im Finale gegenüber. Der erst 16 1/2 Jahre alte Laszlo Bellak, der zuvor schon internationaler Meister von England und Österreich geworden war, musste gegen den amtierenden Vizeweltmeister Zoltan Mechlovits antreten. Auch in diesem Spiel wurde deutlich, wie schnell das Selbstbewusstsein eines Spielers durch eine kleine Wende im Spielverlauf verloren gehen kann. Der angriffslustige - von manchen Spielern als Tischtennisvirtuose bekannte - Bellak gewann die ersten zwei Sätze gegen seinen bekannten Landsmann sehr klar, bis es im dritten Satz 20:17 für ihn stand. Er hatte drei Matchbälle bis zum Weltmeistertitel. Doch der schon 37 Jahre alte Mechlovits kannte das riskante Spiel seines Gegenübers zu gut, um in dieser Situation aufzugeben. Mit seinen auf Sicherheit bedachten Rückgaben gab er nach einem 20:20 dem Spiel noch eine Wende. Er nutzte die plötzliche Krise von Bellak aus und gewann schließlich gegen seinen nervös spielenden Gegner mit 3:2 Sätzen.
Abb. 43 Der 37-jährige Weltmeister und der 16-jährige Vizeweltmeister im Herren-Einzel:
a. Zoltan Mechlovits und b. Laszlo Bellak
In Stockholm versuchte man auch, das Spiel um den dritten Platz einzuführen. Die beiden Österreicher, die um diesen Platz kämpfen sollten, nahmen dies aber nicht ernst und führten den Zuschauern einen Show-Kampf vor. So konnte sich diese neue Regelung auch nicht durchsetzen.
Finale im Herren-Einzel:
Zoltan Mechlovits (Ungarn) - Laszlo Bellak (Ungarn) 3:2 (8:21, 18:21, 24:22, 21:12, 21:15).
1. Mechlovits (Ungarn), 2. Bellak (Ungarn), 3. Flußmann (Österreich) und Liebster (Österreich).
Welches Leistungsgefälle es schon zwischen den "Könnern" und anderen nationalen Spitzenspielern gab, wurde bei den Damen klar erkennbar. Maria von Mednyanszky gewann in der zweiten Runde gegen die norwegische Vertreterin einen Satz mit 21:0. Nach ihrem Erfolg in London hatte sie ihre Spieltechnik so ausgebaut, daß nur die Deutsche Erika Metzger im Finale des Dameneinzels mit einem 19:21, 20:22 und 13:21 zweimal die Chance hatte, einen Satz gegen sie zu gewinnen. Ihre Überlegenheit ergab sich offenbar aus den guten Spielmöglichkeiten mit den ungarischen Spitzenspielern. Den anderen Spielerinnen fehlte ein guter Zuspieler, der ihre Schlagbewegungen durch ein genaues Plazieren des Balles sichern konnte.
Finale im Damen-Einzel:
Maria von Mednyanszky (Ungarn) - Erika Metzger (Deutschland) 3:0 (21:19, 22:20, 21:13).
1. Mednyanszky (Ungarn), 2. Metzger (Deutschland), 3. Gubbins (Wales) und Ingram (England).
Im Herrendoppel kam es zu einer ersten Ernüchterung für die ungarischen Spitzenspieler. Obwohl im Halbfinale zwei ungarische Doppel vertreten waren, schaffte die ungarische Auswahl diesmal nicht den Einzug ins Finale. Jakobi/Mechlovits verloren klar gegen die beiden Abwehrspieler Bull/Perry und Glancz/Bellak gaben beim Stande von 12:18 im 5. Satz gegen die Österreicher Liebster/Thum auf. So war die Weltmeisterschafts-Titelserie der Ungarn endlich gebrochen.
Im Finale besiegten Liebster/Thum die Engländer souverän in drei Sätzen. Ein Ergebnis welches bewies, daß Endspiele trotz der guten Spielpaarungen nicht immer die spannendsten sind.
Finale im Herren-Doppel:
A. Liebster/R. Thum (Österreich) - C.H. Bull/F.J. Perry (England) 3:0 (21:10, 21:13, 21:16).
1. Liebster/Thum (Österreich), 2. Bull/Perry (England), 3. Glancz/Bellak (Ungarn) und Jacobi/Mechlovits (Ungarn).
In Stockholm fanden das erste Mal die Damendoppel statt. Obwohl insgesamt nur sechs Paare teilnahmen, spielte man genau wie bei den Herren nach dem K.o.-System. So kam es zu der einmaligen Begebenheit, daß Spieler, die kein einziges Spiel gewonnen hatten, einen Weltmeisterschaftstitel erhielten. Das an erster Stelle gesetzte schwedische Doppel Lisl Lövdahl/Margyl Brandt und die an Zwei gesetzten Engländerinnen Joan Ingrim/Winifried Land bekamen trotz der Niederlagen noch Bronzemedaillien für ihre Teilnahme.
Obwohl es in Ungarn mehrere Spitzenspielerinnen gab, wie z.B. Kornfeld und Sipos, war für den ungarischen Verband wieder nur Maria von Mednyansky bei den Weltmeisterschaften. Sie gewann zusammen mit der Linkshänderin Flamm aus Österreich gegen die Britinnen Gubbins/Somerville den ersten Weltmeisterschaftstitel im Damendoppel.
Finale im Damen-Doppel:
M. von Mednyanszky/F. Flamm (Ungarn/Österreich) - D.E. Gubbins/B. Somerville (Wales/England) 3:0 (21:16, 23:21, 21:11).
1. Mednyanszky/Flamm (Ungarn/Österreich), 2. Gubbins/Somerville (Wales/England), 3. Ingrim/Land (England) und Lövdahl/Brandt (Schweden).
Abb. 44 "Zwei ungarische Größen:
Fr. v. Mednyansky und Z. Mechlowits, ein Führer des Tisch-Tennis in Ungarn"
Da die deutsche Spielerin Metzger aufgrund einer schlechten Wahl beim Damendoppel vorzeitig ausgeschieden war, wollte sie wenigstens im Gemischten Doppel auf die vorderen Plätze gelangen, indem sie mit dem Ungarn P‚csi zusammen spielte. Schon damals wurde einer guten Platzierung große Bedeutung beigemessen. Doch im Finale verteidigten Mednyanszky/Mechlovits gegen das deutsch-ungarische Doppel erwartungsgemäß ihren Titel.
Finale im Gemischten Doppel:
M. von Mednyanszky/Z. Mechlovits (Ungarn) - E. Metzger/Dr. D. P‚csi (Deutschland/Ungarn) 3:1 (19:21, 22:20, 21:16, 21:9).
1. Mednyanszky/Mechlovits (Ungarn), 2. Metzger/Pecsi (Deutschland/Ungarn), 3. Ingram/Bull (England) und Land/Perry (England).
Auffällig war die Schlägerwahl der meisten Spieler. Fast alle gebrauchten die "beiderseitige Bespannung mit rauem, profiliertem Gummi." Mit dem Ausgang der Weltmeisterschaften mußten einige Debütanten allerdings erkennen, dass die Spielstärke sicherlich nicht allein von der Materialwahl abhing.
Abschließend kam es wieder zu einer Versammlung des ITTF Rates. Besonders in Deutschland war die Tenniszählweise trotz des standardisierten Regelwerks noch sehr beliebt. Der ITTF Rat wollte nun die Regel, nach jedem fünften Punkt den Aufschlag zu wechseln und das Spiel nach 21 Punkten bei einem Vorsprung von zwei Zählern beenden zu lassen, endgültig international verbindlich festlegen. Entgegen den erwarteten Gegenstimmen, die schon einmal bei der provisorischen ITTF Versammlung im Jahre 1926 abgegeben worden waren, wurde fast einstimmig die englische Regelauslegung anerkannt.
Da in den meisten Ländern der Name Ping-Pong sehr beliebt war, musste, aufgrund der uns bereits bekannten Probleme des Patentschutzes, ebenso eine internationale Einigung auf den Namen "Tischtennis" erzielt werden. Der Rat konnte sich auch hier ohne große Einwände einigen.
Wegen seines großen Engagements und seiner Sprachkenntnisse erhielt Ivor Montagu vom Ratsausschuss die Stellung des Präsidenten der ITTF zuerkannt. Dieses Amt bekleidete er im ganzen 41 Jahre lang.
Nach der 2. ITTF Ratssitzung hatte sich die Zahl der ITTF Mitgliedsnationen durch die Aufnahme von Lettland auf zehn Mitglieder erhöht. Das unerwartet große Zuschauerinteresse und die vielen dazu gewonnenen Tischtennisspieler bestärkten den Rat, weitere Weltmeisterschaften in Aussicht zu stellen, deren hohes Niveau den Wettkampfeifer und die Spielpraxis der Teilnehmer deutlich verbessern konnten.