1. Weltmeisterschaften
London 1926
EIN ANFANG MIT IVOR MONTAGU
Nach den II.
Internationalen Deutschen Meisterschaften hatte Ivor Montagu
alle teilnehmenden Nationen für den Dezember 1926 nach London eingeladen.
Doch bevor er seine
Vorstellungen zur Ausrichtung der ersten Europameisterschaften verwirklichen
konnte, brauchte er noch die Unterstützung und Absicherung durch Geldgeber und
Repräsentanten der Öffentlichkeit. Er war sich darüber im Klaren, dass die
Europameisterschaften des immer noch belächelten Tischtennis nur ein großer
Erfolg werden konnten, wenn er einen attraktiven Programmablauf anbot. Da der
Londoner Kongress keine Mittel zur Verfügung stellte, musste Montagu das ganze Erbe seines Großvaters - es waren über
300 Pfund - und einige Zuschüsse aus der Familie Montagu
entlehnen, um überhaupt sein Vorhaben zu ermöglichen. So spendete z.B. seine
Mutter, Lady Swaythling, für die
Mannschaftswettbewerbe einen Wanderpokal, der nach ihr benannt worden ist und
bis zu den Weltmeisterschaften 1981 noch verliehen wurde. Auch das neue
Spielsystem der Dreiermannschaften trägt ihren Namen.
Abb. 36 Die Stifterin des Mannschaftspokals: Lady Swaythling, die Mutter von Ivor Montagu
Außerdem wurde den Weitanreisenden
ein Fahrtenzuschuss bewilligt, um die ausländische Teilnehmerzahl zu erhöhen.
Die Zahl der Teilnehmer war schließlich so hoch, dass die Meisterschaften an
mehreren Orten stattfinden mussten. Montagu und der
neue 1. Vorsitzende der E.T.T.A.,
W.J. Pope, pachteten den kleinen Sitzungssaal einer Religionsgemeinschaft in
der Fleet Street, einen Raum in der Euston Road, den
Spielraum der "Indian Students", und, als
Hauptspielstätte, die Memorial Hall in der Farringdon
Street. Um Zuschauer und Presse auf die bevorstehenden Wettkämpfe aufmerksam zu
machen, eröffnete man die Austragungen mit einem Sektempfang, zu dem die
wichtigsten Diplomaten der teilnehmenden Länder eingeladen worden waren.
Ein eher äußerliches
Merkmal der ersten Weltmeisterschaften war die uneinheitliche
Wettkampfgarderobe. Vom Anzug zum Trikot war eigentlich jede Vorstellung von
Sportkleidung vertreten; teilweise waren die Spieler nicht von den geladenen
Gästen zu unterscheiden. Die Herren erschienen in ihren besten Anzügen oder in
Tenniskleidung und auch bei den Damen mit ihren denkbar ungeeigneten Kleidern hatte
man kaum den Eindruck, dass sie zu einer sportlichen Betätigung angetreten
waren.
Abb. 37 Der Hauptaustragungsort der 1. Weltmeisterschaften:
"Memorial Hall,
Beteiligte Länder bzw.
Nationen waren England, Wales, Deutschland, Ungarn, Österreich, die
Tschechoslowakei, Indien und jeweils ein Spieler aus Dänemark und Schweden.
Indien wurde durch die Gebrüder Fyzee, die ein paar
Tage zuvor um den Tennis-Davis-Cup gespielt hatten,
und den "Indian Students" Londoner
Universitäten vertreten. Durch die Teilnahme von Indien wurden die
Europameisterschaften im nach hinein bei der ersten Generalversammlung der ITTF als Weltmeisterschaften bezeichnet.
Abb. 38 Tischtennisszene aus der Memorial Hall
Der Eröffnungswettkampf der
1. Tischtennisweltmeisterschaften war das Herrenmannschaftsspiel Indien gegen
England. Es fand am Abend des 6. Dezember 1926 auf der Tennisanlage Harrow statt. Die Mannschaften setzten sich jeweils aus
drei Spielern zusammen, die nach dem System Jeder-gegen-Jeden alle ihre
Einzel durchspielen mussten. Obwohl bei diesem Wettkampf der bereits nach
Indien verreiste P.N. Nanda nicht mitspielen konnte,
bewiesen die "Indian Students" mit einem
5:4 Sieg gegen England, dass sie auch ohne ihren englischen Meister als
Randgruppe der englischen Studentenschaft ein beachtliches Tischtennis boten.
Insgesamt nahmen an dem Wettbewerb des Swaythling-Cup
sieben Nationalmannschaften teil, die alle gegeneinander spielten.
Nach einem
Punktegleichstand der Mannschaft aus Österreich, die nur gegen England verloren
hatte, und dem Team aus Ungarn, kam es zu einem Entscheidungsspiel. Obwohl die
Ungarn zuvor noch ihr Spiel gegen die Österreicher verloren hatten, gewannen
sie den Cup.
Platzierungen im "Swaythling-Cup" Herrenmannschaften:
1. Ungarn (SF: B. von Kehrling, Dr. D. Pecsi, Dr. R.
Jacobi, Z. Mechlovits), 2. Österreich, 3. England und
Indien, 5. Wales, 6. Tschechoslowakei, 7. Deutschland.
Abb. 39 Die ersten Gewinner des Swaythling-Cup:
Die ungarischen Repräsentanten Baron Bela von
Kehrling, Dr. Dain
Pecsi, Dr. Roland Jacobi und
Zoltan Mechlovits
Das Herreneinzel der ersten
Weltmeisterschaften wurde im K.o. System ausgetragen
und bestand aus einem 64'er Feld. Es wurde durch 28 Engländer aufgefüllt, die
hauptsächlich aus der Londoner Liga und dem größten Club "St. Bride" kamen. Die Spiele fanden morgens am 10. und 11.
Dezember jeweils nach einem ausgiebigen gemeinsamen Frühstück in der Memorial
Hall statt. Gespielt wurde über drei Gewinnsätze.
Schon in der ersten Runde
zeigte sich, dass es im Tischtennis so viele unterschiedliche Techniken und
Taktiken gab, dass sie selbst für die schon regelmäßig trainierenden Ungarn zum
Verhängnis werden konnten. Baron von Kehrling, der im
Finale um den Swaythling-Cup ausgezeichnete
Leistungen geboten hatte, verlor direkt in der ersten Runde gegen den Dänen Jörgenson. Doch bewies sich die Überlegenheit der Ungarn im
Finale, bei dem das Spielfeld mit Sesseln für die Ehrengäste umgeben wurde.
Zoltan Mechlovits setzte sich im Halbfinale gegen den
indischen Abwehrspieler Suppiah durch und Dr. Jacobi
erreichte das Endspiel durch einen 3:1 Sieg über den Österreicher Pillinger. Beobachter des Endspiels wurden auf die
verschiedenen Spielstile aufmerksam. "Dr. Jacobi benutzte die
Tennisgriffart, die gewöhnliche Griffart; sein Gegner gebrauchte die
Penholder-Griffhaltung."
Nicht nur die
Schlägerhaltungen waren verschieden, es gab auch schon zwei besondere
Spielsysteme. Dr. Jacobi konnte gegen seinen auf Sicherheit bedachten Landsmann
nur gewinnen, indem er ihn mit einem konsequenten Angriff überraschte.
Finale im Herren-Einzel:
Dr. Roland Jacobi (Ungarn)
- Zoltan Mechlovits (Ungarn) 3:0 (21:12, 22:20, 21:19).
1. Jacobi (Ungarn), 2. Mechlovits (Ungarn), 3. Suppiah
(Indien) und Pillinger (Österreich).
a. b.
Abb. 40 Die zwei typischen Schlägerhaltungen des Tischtennis
im Vergleich:
a. Der Vizeweltmeister Zoltan Mechlovits mit seiner charakteristischen
Penholder-Schlägerhaltung
b. "Mr. Nanda's Grip",
eine Variation des "Lawn Tennis Grip"
Für das Dameneinzel waren
aus dem Ausland nur drei Spielerinnen gekommen. Die zwei Wienerinnen Wildam und Flußmann, die bisher
bei Turnieren in Österreich und Deutschland erfolgreich abgeschnitten hatten,
und die Ungarin von Mednyanszky machten sich
Hoffnungen auf einen Weltmeisterschaftstitel. Auch hier wurde das ungarische
Training mit einem Titel belohnt. Maria von Mednyanszky,
die noch nicht einmal die beste Spielerin Ungarns war und aufgrund eines
vermögenden Elternhauses am Turnier teilnehmen konnte, gewann ohne einen
einzigen Satzverlust gegen alle Gegnerinnen.
Finale im Damen-Einzel:
Maria von Mednyanszky (Ungarn)
- Dolly E. Gubbins (
1. Mednyanszky
(Ungarn), 2. Gubbins (Wales), 3. Flußmann
(Österreich) und Land (England).
Abb. 41 Die erste Weltmeisterin: Maria von Mednyanszky
Die Doppelspiele, die in
England kaum gespielt wurden und "bei dem zahlreichen Publikum besonders
lebhaften Beifall fanden", machten die Ungarn im Endspiel unter sich aus.
Das "Doktorenpaar" Jacobi/P‚csi gewann
gegen Mechlovits/von Kehrling.
Finale im Herren-Doppel:
Dr. R. Jacobi/Dr. D. P‚csi (Ungarn) - Z. Mechlovits/B.
von Kehrling (Ungarn) 3:1 (21:15, 21:11, 19:21,
21:11).
1. Jacobi/Pécsi (Ungarn), 2. Mechlovits/Kehrling (Ungarn), 3. Mossford/Penny
(Wales) und Flußmann/Pillinger
(Österreich).
Die "Gemischten
Doppel" galten wieder als der krönende Abschluss der Veranstaltung. Der
Weltmeisterschaftstitel für das Doppel mit der Aufstellung Mednyanszky/Mechlovits erschien fast nur noch als eine reine Formsache.
Finale im Gemischten
Doppel:
M. von Mednyansky/Z.
Mechlovits (Ungarn) - L. Gleeson/Dr.
R. Jacobi (England/Ungarn) 2:0 (21:14, 21:8).
1.Mednyansky/Mechlovits (Ungarn), 2. Gleeson/Jacobi
(England/Ungarn), 3. Land/Bennet (England) und Wildam/Freudenheim
(Österreich).
Zum Ende der ersten
Weltmeisterschaften hatten die Ungarn alle zu vergebenden fünf Titel gewonnen.
Der Erfolg der Ungarn war gleichzeitig eine Bestätigung ihres Übungskonzeptes.
Was fiel den Journalisten
bei diesem aufwendigen Turnier auf?
Ein Problem, das heute noch
besteht und auch in Zukunft die Spieler beschäftigen wird, war der Netzball. In
der Times war nachzulesen, dass " - es viel zu viele Netzschnurschläge in
dem Spiel gibt, welche völlig siegbringende Schläge
sind."
Auch heute noch kommen in
einem Spiel durchschnittlich drei "Netzroller" vor. Er gehört wie das
Zubehör zum Spiel und kann die Spannung eines Wettkampfes durch sein
schicksalhaftes Element steigern.
Es gab aber noch weitere
wichtige Erkenntnisse, die der Beobachter der 1. Weltmeisterschaft gewinnen
konnte. Die guten Spieler benutzten ausschließlich Holzschläger, die auf einer
Seite mit Noppengummi belegt waren. Das Gummi ermöglichte es, dem Ball in Form
von Über- oder Unterschnitt mehr Rotation zu geben. Außerdem bewirkte die
Elastizität des Schlägerbelages ein schnelleres Spiel. Ein weiterer Faktor, der
die Könner von den schlechteren Spielern unterschied, war deren besondere
Techniken. Dazu gehörten der "Topspin, Schnitt, Slice
und kombinierte Tempowechsel." Besondere Beachtung erhielt Percival Bromfield durch seine bewegungsintensiven Schlagtechniken,
die sein Schläger mit beidseitig belegtem Noppengummi ermöglichte. Die Freude
an der Rotation des Balles und die damit verbundenen spektakulären
Schlagbewegungen machten ihm zum Erfinder des Rückhand-"Flick"
und des "Topspin". Der Flick wurde direkt über dem Tisch mit einer
schnellen Umklappbewegung des Handgelenks geschlagen. Sein Topspin, den man
heutzutage allerdings nur noch als Treibschlag bezeichnen würde, versetzte
manchen Zuschauer in Staunen, weil der Ball durch seine hohe Vorwärtsrotation
eine besondere Flugkurve beschrieb. Diese beiden Angriffstechniken sollten
später zukunftsweisend für den Tischtennissport sein. Bromfield
war zwar bei den Weltmeisterschaften nicht sehr erfolgreich, doch zog er bei
seinem Spiel immer wieder das Interesse auf sich. Die deutschen Teilnehmer, die
sich über zahlreiche Ausscheidungsspiele qualifiziert hatten, waren beeindruckt
von den Spielen der "Ungarn, Engländer und Inder, die schon teilweise an
Akrobatenkunststücke grenzende Leistungen vollbrachten." Allerdings muss man diese "Kunststücke" im Vergleich zu den
Fertigkeiten der deutschen Spieler relativieren, denn die deutschen Teilnehmer
sahen das variantenreiche Spiel mit dem Noppengummi selten. Obwohl man schon
zwischen Angriffs- und Abwehrspiel unterscheiden konnte, bevorzugten die
meisten doch ein Sicherheitsspiel. Besonders die Spieler mit reinen Holz- und
Korkschlägern schoben den Ball mit fast waagerecht gehaltenem Schlägerblatt
über das 6 3/4 Inches hohe
Netz. Diese auf Sicherheit bedachte Technik, die meistens mit der Rückhand
gespielt wurde, sollte später noch als Löffel- oder Schupfball
in die Geschichte des Tischtennis eingehen. In der Evening
News wurde kommentiert, dass die Zuschauer beinahe die Kontrolle über ihre
Köpfe verloren, "als das schier endlose kling-klang,
kling-klang zum Ende kam."
Trotz einiger spöttischer
Bemerkungen über das Tischtennis war dieses Turnier doch ein guter Anfang für
weitere internationale Begegnungen. Die objektiven Beobachtungen namhafte
Zeitungen glichen die kleinen Sticheleien wieder aus. Ein wichtiger Schritt in
der Entwicklung des Tischtennis war getan, und es scheint, dass er in der
Hauptsache einer einzelnen Person zu verdanken ist. Durch den großen
finanziellen und organisatorischen Einsatz von Ivor Montagu
waren Voraussetzungen geschaffen worden, weltweit das Interesse für den
Tischtennissport zu fördern. Er machte sich zum Wegbereiter des international
durchorganisierten Tischtennissports.
Am 12. Dezember 1926
wählten die Vertreter der Weltmeisterschaften ihr erstes ITTF Präsidium im Hause Swaythling. Folgende Personen gehörten dem
Präsidium an: Ivor Montagu (England) als Präsident; Fritz Zinn (Deutschland),
Dr. A.H. Fyzee (Indien), Dr. Richard Pick (Österreich), Bela von Kehrling
(Ungarn) und Carl Linde (Schweden) als Vizepräsidenten und C.H. Hallet (Wales)
und J. Gerke (Österreich) als Sekretäre.
Außerdem wurden Ausschüsse
für Geräte und Regeln gebildet. Somit ging eine erste wichtige Aufgabe der ITTF in Erfüllung, die die weitere
Entwicklung des Tischtennissports in der Welt überhaupt sowie die Vorbereitung
und Organisation der Weltmeisterschaften in Angriff nahm. Auf Vorschlag des Delegierten
aus Schweden beschloss man, die nächsten Weltmeisterschaften in Stockholm
auszutragen und dort auch den nächsten Kongress abzuhalten.