VOM PING-PONG ZUM TISCHTENNIS

Die Entwicklung zum Wettkampfsport

Nach der Wiedereinführung des Tischtennis in Europa entwickelten die Spieler sehr schnell ein ernstzunehmendes sportliches Selbstbewusstsein. Zahlreiche Turniere in den Großstädten, eine wachsende Anzahl von Clubs und die regionalen und nationalen Organisationen waren wesentliche Momente, um den Forderungen der Spieler nachzukommen, die Tischtennis endlich als Sport anerkennen mochten. Organisation und damit verbundene Erfassung von Wettkampfleistungen brachten ein wachsendes Konkurrenzdenken der Spieler mit sich. Die einheitlichen Regeln der Verbände machten es möglich, viele gute Spieler aus den verschiedensten Regionen gegeneinander antreten zu lassen. Das Wettkampfniveau steigerte sich so weit, dass nur noch Spieler mit besonderen Leistungen an Turnieren teilnahmen. Wer erfolgreich sein wollte, musste zuvor auch etwas für seine Spielpraxis tun. Galt um die Jahrhundertwende noch der Grundsatz: "Trainiert nicht vor dem Spiel - das tut man nicht!" - so bestand 1924 kein Zweifel mehr an der Notwendigkeit eines gewissenhaften Trainings. Interkontinental konnten die Briten die größten Fortschritte hin zur gezielten Leistungssteigerung vorweisen. In der turnierreichen Saison des Jahres 1924 leistete Ivor Montagu mit seinem Buch Table Tennis To-Day einen wesentlich Beitrag, um der öffentlichen Meinung das bisherige Gesellschaftsspiel als eigenständigen Sport neu zu präsentieren. Im ersten Lehrwerk der zwanziger Jahre machte er im besonderen auf die Bedeutung der Technik aufmerksam und widerlegte eindeutig die bisher gültige Devise:

"Die erste Regel ist es, den Ball über das Netz zu bekommen. Die zweite besteht darin, den Ball auf dem Tisch zu halten."

Des weiteren beschrieb er einige Schlagtechniken, die er alle aus der Fachsprache des Lawn-Tennis entnommen hatte. Die folgende Übersicht führt alle wichtigen Techniken der zwanziger Jahre auf.

 

Techniken der zwanziger Jahre

Schlägerhaltungen:

Lawn Tennis Grip, Penholder Grip und andere

Spinvariationen:

Topspin / Underspin / Sidespin

(Überschnitt) (Unterschnitt) (Seitschnitt)

Schlagtechniken:

plain-hit (ohne Schnitt), topspin drive (Überschnitt), half-volley (frühe Ballannahme), chop (Unterschnitt)

 

Die Techniken wurden so individuell ausgeführt, dass Montagu noch keine genauen Bewegungsbeschreibungen geben konnte. Oberstes taktisches Gebot war, den Ball möglichst flach zu halten.

Der englische Entwicklungsvorsprung bewies sich auf den 1. Tisch-Tennis-Meisterschaften von Deutschland vom 10. Januar 1925. Hier nahmen auch die Landesmeister aus Ungarn und England teil. Es waren der in Deutschland bereits bekannte Ungar von Kehrling und P.N. Nanda, ein "Indian Student" aus London. Während des Turniers lernten die deutschen und der ungarische Spieler das erste Mal den englischen Noppengummischläger kennen. Obwohl man diese Schläger im allgemeinen für eine Modeerscheinung der englischen Ausstattung hielt, waren einige spieltechnische Besonderheiten nicht zu übersehen. Sehr wahrscheinlich war der ungarische Meister Baron von Kehrling der einzige, dem die neuen Schlagtechniken derart zusagten, dass sich nach seinem Vorbild in der Tischtennismetropole Budapest die Einführung des Noppengummis durchsetzte.

Abb. 31 "Nanda, der deutsche Tisch-Tennis-Meister"

 

Der souveräne Endsieg des Inders Nanda vermittelte aber auch noch andere Erkenntnisse. Im Gegensatz zu den deutschen Spielern hielt er "den Schläger ganz kurz am Halse" und führte somit die Shake-Hand-Haltung in Deutschland ein.

Nach dem Auftritt des Inders, der durch "die Mannigfaltigkeit seiner Schläge im Schrauben, Schmettern, Treiben und Aufschlagen" das Interesse des Publikums weckte und damit Werbung für weitere Turniere in Deutschland machte, erkannten die deutschen Spieler endlich: "wenn wir technisch völlig umlernen, wird das Tischtennis auch bei uns zum Begriff 'Sport' werden."

 

Auch in Ungarn begann bald ein Umlernprozess. Beim ersten Nationenmannschaftswettkampf Österreich gegen Ungarn galten anfangs die Österreicher als Favoriten, da sie über eine größere Spieleranzahl im Wiener Tischtennis Verband verfügten. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie den Ungarn vollkommen unterlegen waren. Nach klaren Niederlagen im Jahre 1925 in Budapest mit 11:5 und in Wien ein Jahr später mit 15:1 schrieb ein Wiener Journalist:

"Als Lehre brachte die Veranstaltung den Nachweis, dass es den Wiener Spielern wohl nicht an Fähigkeiten, dagegen sehr an systematischem Training fehlt und dass Tischtennis desselben genauso bedarf, wie jeder andere nicht so sehr über die Achsel angesehene Sport."

Doch darf man den damaligen sportlichen Ehrgeiz keinesfalls mit heutigen Maßstäben messen. Zwar wurde in den einzelnen Wettkampfbegegnungen schon um jeden Punkt gekämpft, doch hielt sich dieser Eifer immer im Rahmen des guten Tons. Sieht man einmal davon ab, dass " laute Gespräche an vollbesetzten Abendtafeln im Turnierraum, umherschwirrende Kellner mit klirrenden Tabletts " und weiße Jackets einige Wettkampfleistungen beeinträchtigten, so galten doch bestimmte gesellschaftliche Regeln, die man heute noch im Tennis vorfindet. Verwarnungen oder Disziplinarmaßnahmen waren deshalb gar nicht notwendig.

Bei den meisten Turnieren fand jeweils ein Herren- und ein Dameneinzel statt. Man traf sich nicht in erster Linie, um in sportlicher Hinsicht Erfolge zu erzielen, sondern um seinen Spaß zu haben. Besonders die Vorgabeturniere, in denen Spieler jeder Spielstärke gewinnen konnten und natürlich das gemischte Doppel, bei dem ein Paar aus einem Herren und einer Dame gebildet wurde, waren sehr beliebt. Das gemischte Doppel fand immer am Ende eines Turniers statt, da sich die Paare direkt für die krönende Abschlussveranstaltung bereit halten konnten. So kam es vor, dass die in den gemütlichen Räumen der Klubhäuser veranstaltete Preisverteilung die Teilnehmer bis in die frühen Morgenstunden bei fröhlichem Tanze zusammenhielt.

Abb. 32 Damen beim Tischtennis

Obwohl Mitte der Zwanziger Jahre das Tischtennis von seinen Anhängern nunmehr als Sportart bezeichnet wurde, betrachtete es die breite Bevölkerung nur als Ausweichmöglichkeit zu Tennis oder als eine verspielte Freizeitbeschäftigung. Im Gegensatz zu den Asiaten, die das Spiel schon 1927 bei den Fernöstlichen Spielen als Sportdisziplin einführten, war das europäische Tischtennis bei sportlichen Großveranstaltungen (wie z.B. Sportfesten, Olympischen Spielen) nicht vorzufinden, und so blieb es vorerst vom Spektrum der klassischen Sportdisziplinen ausgeschlossen.