EIN FREIZEITSPIEL ORGANISIERT SICH

Auch in Amerika und Europa setzte die neue Tischtennisbewegung erst ein paar Jahre nach dem I. Weltkrieg ein.

Die Vereinigten Staaten waren die bedeutendste Weltmacht geworden, hielten sich aber im Sinne ihrer Isolationspolitik vom Wirtschafts- und Handelsvorgehen in der Welt, besonders von dem in Europa, zurück. In den zwanziger Jahren dominierte in den USA der registrierte Name Ping-Pong - vermutlich unter dem Druck der Firma Parker Bros. Obwohl immer wieder die Rede davon war, eine "American Ping-Pong Association" (A.P.P.A.) zu gründen, scheiterte das Vorhaben.

Die meisten Amerikaner fassten das Tischtennis mehr als ein "popular amusement" (Volksvergnügen) auf. So war z.B. auf jedem amerikanischen Ozeandampfer das Tischtennisspiel vorzufinden.

Ansonsten war die Entwicklung des Tischtennis stehen geblieben. Das amerikanische Spiel zeigte über Jahre hinweg keine erwähnenswerten Fortschritte.

In England kam es nach dem I. Weltkrieg zu einer Neubelebung des Tischtennis in Europa. Doch die Glanzzeit des britischen Empires war vorbei, und somit hatte das englische Tischtennis keine Vorbildfunktion mehr.

Nach der kurzen Existenz der Table Tennis Association und der Ping Pong Association um die Jahrhundertwende kam es zur Neugründung der P.P.A. Mit Hilfe früherer Tischtennispersönlichkeiten, so dem letzten englischen Meister vor dem Kriege, Percival Bromfield, und dem ehemaligen ersten Vorsitzenden J. Payne, ließ der Geschäftsmann und Ping-Pong-Enthusiast A.F. Carris den Verband in der Saison 1921/22 wiedererstehen. Sie sahen die Möglichkeit voraus, das Spiel unter organisatorischer Kontrolle zu entwickeln. Unglücklicherweise schränkten legale Vorbehalte auf Grund einer früheren Registrierung den Gebrauch des Handelsnamens Ping-Pong so ein, dass nach kurzer Zeit die P.P.A. aufgelöst und in die Table Tennis Association überführt wurde.

Dieser Schritt zog drei wichtige Konsequenzen nach sich:

Neuer 1. Vorsitzender der T.T.A. wurde der damals erst 17 Jahre alte Ivor Montagu. Seine zielstrebigen Bemühungen sollten endlich das Tischtennisspiel dem internationalen Wettkampfsport zuführen.

Kurz nach der Verbandsgründung im Jahre 1922 fanden auch wieder jährlich die englischen Meisterschaften im Damen- und Herreneinzel statt. Erster Veranstalter nach dem I. Weltkrieg war der "All England Table Tennis Club" in der Londoner Baker Street. Welche Bedeutung ein durchgehendes Training besaß, wurde schon bei diesem Turnier sehr deutlich. Der Sieger des Turniers kam verständlicherweise aus der Stadt, die nicht von der großen Entwicklungspause ab 1904 betroffen worden war. Lehrer Donaldson aus Sunderland gewann das erste und letzte Mal den englischen Titel.

Die Gebiete, die für eine Teilnahme an den englischen Turnieren aufgrund der schlechten Verkehrsverbindungen nicht in Frage kamen, bildeten ihre selbständigen Organisationen. Im Jahre 1923 wurde die Irish Table Tennis Association und die Jersey Table Tennis Association gegründet. Zum Unverständnis vieler nationaler Sportverbände sind noch heute die Spieler aus England, Wales und dem erst 1936 gegründeten Mitglied Schottland als eigenständige Vertreter ihrer Länder bei Weltmeisterschaften beteiligt. Diese Aufteilung kann man als die traditionelle Organisation des internationalen Sports bezeichnen, die auch in den meisten anderen Sportarten, wie z.B. Fußball oder Hockey, herrscht. In der ITTF sind sogar die beiden britischen Kanalinseln Guernsey und Jersey als Mitglieder aufgeführt. Diese Länder- und Inseleinteilung ist nicht unproblematisch. Es wurde daher immer wieder im Laufe der Sportgeschichte scharfe Kritik an der traditionellen Einteilung geübt.

Schon kurz nach der Gründung der T.T.A. traten Probleme auf, die auch in der Folgezeit bei weiteren Verbandsgründungen neue Lösungen erforderlich machten. In verschiedenen Gegenden gab es gravierende Regelunterschiede. Diese waren die Zählweise nach dem Tennisreglement, die Netzhöhe von 6 oder 6 3/4 Inches und der direkte oder indirekte Aufschlag. Da die T.T.A. sämtliche Vereine unter einem Dachverband sammeln wollte, mußte sie alle Regeln billigen und legte ihre eigenen Regeln nur auf nationaler Ebene fest.

Während auf den britischen Inseln die Organisation schon sehr verzweigt war, befand sie sich in Schweden, Deutschland, Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei gerade am Anfang ihrer Entwicklung. Die ersten Versuche einer Festigung politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse verhalf in diesen Staaten auch dem Tischtennis zu einer größeren Popularität. Auf der Basis internationaler Friedensverträge und der Gewähr von Krediten zum Aufbau einer leistungsfähigen Industrie, begann wieder eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs und des allgemeinen Wohlstandes. Die Situation erzeugte im Bürger der "Goldenen Zwanziger Jahre" eine Sorglosigkeit, die es ihm erlaubte, dem geselligen Tischtennisspiel genug Zeit zu widmen. Vor allem die Tennisspieler und Tennisfunktionäre sorgten dafür, dass der Spielbetrieb in ihren Clubhäusern, Umkleidebaracken oder reservierten Hotelzimmern in Gang blieb. Ein weiterer Faktor, der den plötzlichen Beginn der Tischtennisentwicklung ab dem Jahre 1924 begünstigte, war das Ausbleiben des Winters. Besonders stark betroffen waren die schwedischen Sportvereine. Mangels Frost und Schnee organisierte man deshalb zahlreiche große Tischtennis-Turniere.

Die schwedischen Spieler kamen erst in den zwanziger Jahren mit den "Pingisen" (scherzhaft für Ping-Pong) in Kontakt. Zu Anfang gab es lebhaftere Wettkampfaktivitäten nur in den größeren Städten. Die Meister in Malmö, Göteburg, Stockholm und Norrköping-Lindköping wurden, jeder einzelne von ihnen, in ihrer Stadt als Helden gefeiert.

Der erste große Ping-Pong-Spezialist, der sich bei den vom Idrottsbladet veranstalteten Turnieren gegen die schwedischen Tennisasse behaupten konnte, war der Journalist Sven Ahmann. Er wurde im Jahre 1924 als der erste schwedische Meister bezeichnet, nachdem er in den Tischtennishochburgen Göteburg und Stockholm Turniersieger geworden war.

Nach der Gründung des Svenska Bordtennisförbundet (Schwedischer Tischtennisverband) am 25. Oktober 1926 fanden regelmäßig die schwedischen Meisterschaften im Herreneinzel und der Herrenliga im Jahreszyklus statt. Es blieb eine schwedische Eigenart, dass die Damen erst 20 Jahre später ihre Meisterschaften austragen konnten.

Die deutsche Tischtennisentwicklung begann ungefähr zur gleichen Zeit wie in Schweden. Berlin erhob sich wieder zur Tischtennismetropole Deutschlands. Im Jahre 1924 trafen sich im Sporthaus Richard Rau bei schlechtem Wetter populäre Tennis-, Hockey- und Golfspieler, um auf den vom Hause angebotenen Tischtennistischen zu spielen. Diese Tische besaßen ein eigenes deutsches Maß nach dem so genannten Pforzheimer Muster. Die Tischplatte hatte eine Fläche von 1,40 mal 2,70 Meter und die Höhe lag zwischen 75 und 85 Zentimetern. Das Netz entsprach mit 17,5 Zentimetern am ehesten den Regeln der T.T.A. Die Tenniszählweise blieb bis kurz nach der Gründung des DTTB üblich.

Mit den "Meisterschaften von Berlin" am 1.12.1924 fanden hier auch die ersten Tischtennisaktivitäten statt. (s. Abb. 30). Nachdem weitere Turniere in Berlin, Hamburg und Münster gefolgt waren, forderte Guido Skobe in der Januarausgabe der Zeitschrift Tennis und Golf, verbindliche Regeln zu schaffen, die von einem Verband festgelegt werden sollten.

Abb. 30 Turnierausschreibung von 1924

 

Sein Appell zeigte Wirkung. Am 21. Februar 1925 versammelten sich auf eine Einladung des Deutschen Tennisbundes hin Vertreter aus 21 Tennisvereinen, um die "Beschlußfassung über die Gründung und Wahl des Vorstandes eines Deutschen Tisch-Tennis Verbandes" zu beraten. Das Ergebnis dieser Tagung war die Gründung des Deutschen Tisch-Tennis Bundes.

Auch in den früheren Grenzen des Habsburger Reiches, wo schon nach der Jahrhundertwende Tischtennis in Hotels gespielt wurde, machte man sich ernste Gedanken zur Organisation. Im Gegensatz zum deutschen und schwedischen Spiel war hier das Tischtennis nicht nur ein Ersatz oder Zusatzangebot der Tennisvereine, da fast alle bedeutenderen Vereine Sektionen für Tischtennis aufwiesen. Der einstige Tischtennis-Aufschwung der Jahrhundertwende geriet hier nicht ganz in Vergessenheit. Die neuen Regeln des Ping-Pong, die einst der Engländer Shire eingeführt hatte, wurden neben der Tenniszählweise angewandt.

Warum das Tischtennis in Wien plötzlich so viele Anhänger fand, begründete ein Zeitgenosse folgenderweise:

"Tisch-Tennis ist ein Sport, der zwei Leidenschaften des Wieners ganz besonders entgegenkommt: Es bietet ihm Gelegenheit, in seinem geliebten Kaffeehause sitzend alle Nuancen der Sportleidenschaft durchzuleben, die er sonst oft nur dann genießen kann, wenn er sich den Witterungsunbilden aussetzt."

Eine ähnliche Mentalität zeigte sich in Budapest. Da Ungarn nach dem I. Weltkrieg souveräner Staat geworden war, bewies sich im Tischtennis das erstarkte Nationalgefühl, indem schon ab Ende des Jahres 1924 jährlich die ungarischen Meisterschaften im Herren- und Dameneinzel ausgetragen wurden und der erste nationale Verband auf dem europäischen Festland entstand. Wenige Monate später, im März 1925, errichteten Vorsitzende aus Tischtennis-Vereinen in Prag, Brünn und Preßburg den "Tschechoslowakischen Ping-Pong Verband" und, nach Vorarbeiten des "Wiener Tisch-Tennis Verbandes", entstand schließlich auch Anfang 1926 der "Österreichische Tisch-Tennis Verband".

Somit gab es bis 1926 mit den Verbandsgründungen von England (1922), Irland (1923), Wales (1922), Gurnsey (1922), Jersey (1923), Ungarn (1924), der Tschechoslowakei (1925), Deutschland (1925), Schweden (1926) und Österreich (1926) zehn europäische Nationen und Inseln, die durch ihre Organisationen dem Tischtennisspiel seinen festen Platz im gesellschaftlichen Leben sicherten. Sie folgten der wirtschaftlichen und politischen Tendenz der zwanziger Jahre auch auf sportlicher Ebene, die Vielfalt der sportlichen Gruppierungen übergreifend zu organisieren.