DAS ASIATISCHE PING-PONG AUF EIGENEN WEGEN
Als sich herausstellte, dass das Ping-Pong eine reine Modeerscheinung der Engländer blieb, sank weltweit das Interesse an diesem Spiel. Bis zum Beginn der zwanziger Jahre gab es bei der Spielentwicklung keinen Fortschritt mehr.
Die einzige Ausnahme war China. Nach der endgültigen Entmachtung des Kaiserhauses im Jahre 1912 machte sich ein Trend zur Übernahme westlicher Kultur bemerkbar. Viele Chinesen wendeten sich von der Lehre des enthaltsamen Konfuzianismus ab. Somit war der Weg für die Einführung des aus England und Japan eingeführten Celluloidspiels frei.
Erste Anregungen erhielt es durch die "Young Men's Christian Association" (YMCA) und diente nicht der Zerstreuung der bürgerlichen Gesellschaft wie einst in Europa, sondern als gute Geschicklichkeitsübung für Kinder. In dem vom Pekinger Sportverlag veröffentlichten Lehrwerk Eine Studie moderner Techniken des Tischtennis wird der Anfang der nationalen Entwicklung folgenderweise beschrieben:
["Im Jahre 1916 richtete man in der Kinderabteilung des christlichen Jugendverbandes in Shanghai Tischtennisräume und -tische ein. Die Tischtennisbewegung wurde auch unter Schülern und Studenten entfaltet."]
Allerdings soll dieses Zitat nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Tischtennis und der allgemeine Sport lediglich eine Randerscheinung blieben. Von den über 65 Millionen Kindern im Schulalter konnten nur 1 1/2 Millionen die rund 60.000 Schulen besuchen. Andererseits bemühte sich eine umfangreiche Zahl von Studenten um ein Auslandsstudium in den amerikanischen, europäischen und besonders den japanischen Universitäten. Hier kamen viele das erste Mal mit dem Wettkampfsport in Kontakt.
Der europäische Sport und die physische Kriegskunst blieben in China lange Zeit verpönt. Erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Sport allmählich in den Schulen eingeführt.
Trotzdem kam es zunächst selten vor, dass in China Sport getrieben wurde. Und wenn sich zwei adlige Chinesen zusammentaten, um z.B. Tennis zu spielen, so lebten die Diener in ständiger Sorge, dass die Herren die Standesschranken übertreten könnten, weil sie sich ungebräuchlichen, körperlichen Anstrengungen aussetzten. Die nächste Schwierigkeit lag in der totalen Ablehnung des Wettkampfsports. Es hatte zuvor kein Wettkampfspiel gegeben, welches die Spieler wie das große Vorbild Tennis in Europa zu großen sportlichen Leistungen angespornt hätte. Das einzige schon bekannte Rückschlagspiel hieß Di-Dschiän-Dsi. Genau wie beim Indiaca versuchte man mit Händen oder Füßen, sich ein Gewicht mit etwa sechs Zentimeter langen Hühnerfedern zuzuspielen. Das Ziel der chinesischen Spieler lag nicht darin, einen Wettkampf auszutragen, sondern möglichst lange und geschickt den Ball in der Luft zu halten. Sinn des Spiels war die Prägung der wesentlichsten Züge von Körper und Seele. Neben der körperlichen Fertigkeit sollten feinfühlige Kenntnisse der Gravitation, Vibration, des Lichtes und Klimas erlangt werden.
Entsprechend dieser Mentalität spielten die Stadtkinder auch Tischtennis. Die Körpererfahrung sollte geschult werden, indem der Ball möglichst lange im Spiel blieb. Obwohl in China deshalb keine großen Turniere oder Wettkämpfe stattfanden, so verbreitete es sich doch an jenen Orten, wo die Bevölkerungsdichte sehr groß war.
In den ländlichen Regionen blieb das Tischtennis vollkommen unbekannt. Eine Verbreitung scheiterte vor allem daran, dass es in China kaum Tische europäischen Formates gab. Die Tatsache, dass die Chinesen zunächst ein Tischtennis ohne Tisch spielten, unterstützt die Auffassung von der Verfeinerung körperlicher Fertigkeiten.
So nahm das Ping-Pong bis Mitte der zwanziger Jahre einen geringen Stellenwert ein und wurde nur in den Großstädten Peking, Tianjing, Shanghai und Kanton gespielt. Es waren diejenigen Orte im Osten Chinas, die am ehesten Zugang zum europäischen und japanischen Handel hatten.
Dem japanischen Einfluss ist es wahrscheinlich auch zu verdanken, dass im März 1917 die "Shanghai Table Tennis Federation" gegründet wurde. In Shanghai, der größten Stadt Chinas, trugen die Spieler im Sommer 1924 auch ihre ersten Mannschaftswettkämpfe aus. Bereits ein Jahr später organisierte der Verband verschiedene Pokalspiele. Eines dieser Spiele war der Qui-Shan Wettkampf zwischen der Mannschaft Zhoughua (d.h. China) und der Mannschaft der Überseejapaner. Es kann als das erste asiatische Länderspiel bezeichnet werden. Zwei Jahre später fuhr die Mannschaft Zhoughua zu einem Besuchswettkampf nach Japan. Man einigte sich darauf, im August 1927 bei den 8. Fernöstlichen Spielen in Shanghai das Tischtennisspiel in einem Vorführungswettkampf beider Nationen als Wettkampfsport einzuführen. Doch die Entwicklung des neuen Spiels blieb beschränkt. Die Chinesen waren auf Celluloidimporte angewiesen, da es noch an einer eigenen Produktion fehlte. Im Jahre 1934 trat China sogar aufgrund von Zwistigkeiten mit Japan aus dem Fernöstlichen Sportverband aus. Da China somit von den internationalen Sportgeschehnissen abgekapselt war, versuchte man durch die Gründung des Chinesischen Tischtennisverbandes im Jahre 1935, die beigetretenen Mannschaften im territorialen Rahmen Chinas untereinander spielen zu lassen. Diese Mannschaften kamen allerdings nur aus den sieben Handelsstädten Shanghai, Tianjiu, Zhejiang, Jiangsu, Nanjing, Quingdao, Hongkong und Macao. Das Tischtennis war also vorab nur den Großstädtern zugänglich. Das politische und wirtschaftliche Chaos, das durch zahlreiche links- und rechtsradikale Gruppen, Regierungswechsel und vor allem durch japanische Angriffe bis zur Gründung der Volksrepublik im Jahre 1949 anhielt, wird prägnant im vorher genannten chinesischen Lehrwerk so formuliert:
["Wegen der Kriege und der Armut konnte sich der Tischtennissport nicht gut entwickeln."]
Doch blicken wir nun nach Japan. Einige Japaner waren ja während Studienaufenthalten in Europa mit den westlichen Sportarten bekannt geworden. Ein Spiel, das am ehesten Ähnlichkeiten mit dem englischen Ping-Pong besaß, war das mit konfuzianischen Lehren verbundene Federballspiel "Oibane". Es war schon ab dem 14. Jahrhundert verbreitet und aufgrund seiner geringen Kosten nicht nur den Reichen, sondern dem ganzen Volk zugänglich. Der Schläger, "Hago ita", wurde meist aus Kiri-Holz hergestellt und besaß auf einer Seite ein bunt gemaltes Bild oder einen Holzschnitt, der eine oder mehrere verehrte Personen darstellte. Sehr wahrscheinlich verwendeten die japanischen Schüler und Studenten solche rechteckig geformten Schläger auch für das Ping-Pong. Fast alle Spieler fassten ihre Schläger so, wie sie ihre Essstäbchen hielten. Da mit der Seite, auf der sich die Zeichnung befand, nicht gespielt werden durfte, ist hier sicher noch eine wichtige Begründung für den bevorzugten Pen-Holder-Griff der Japaner erkennbar. Er erweist sich wohl als die geeignetste Haltung, wenn nur eine Schlägerseite zur Verfügung steht.
Abb. 26 Der japanische Federballschläger "Hago-ita"
Ansonsten verliefen die ersten Geschehnisse um den Tischtennissport zeitlich parallel zu den Ereignissen in Europa. Infolge der Ausdehnungspolitik und der Teilhabe am I. Weltkrieg kam der regelmäßige Spielbetrieb zum Erliegen. Als mit dem Beginn der zwanziger Jahre die japanischen Schüler und Studenten vom Druck des Krieges befreit waren und ihren persönlichen Interessen nachgehen konnten, bildeten sich an den Schulen und Universitäten freie Sportvereinigungen. Solche Zusammenschlüsse standen im genauen Gegensatz zu den traditionellen Kampfsportarten, die zu offensichtlich als militärische Drillübung für die Nationalpolitik eingesetzt wurde.
Mitte der zwanziger Jahren bildeten sich die ersten Verbände, die den Schul-, Hochschul- und Betriebssport regeln sollten. Auch die Organisation des Tischtennisspiels nahm zu jener Zeit ihre ersten Formen an. Allerdings kam es durch verschiedene Verbandsgründungen bald zu folgenden komplizierten territorialen Streitigkeiten:
["Im Jahre 1921 wurde die "Dai-nippon-takyu-kyokai" als Dachverband gegründet.Dieser hatte sowohl in der Tokio Ebene "Kanto" als auch in der Kyoto-Osaka-Ebene "Kansai" je eine Sportzentrale, die jede für sich japanische Meisterschaften organisierte. So kam es, dass Meisterschaften zwei- bis dreimal im Jahr stattfanden. Dieser Dachverband bestand nur kurze Zeit, weil heftige Kompetenzschwierigkeiten zur Spaltung führten und sich in der Tokyo-Ebene "Kanto" ein neuer nationaler Verband konstituierte, der bis heute den nationalen Tischtennisverband "Zenkoku-takyu-renmei" repräsentiert, obwohl die alte Organisation "Dai-Nippon-takyu-kyokai", die sich in die Verbände "Dai-Nippon-takyu-renmei" und "Teikoku-takyu-kyokai" spaltete, weiter existierte."]
All diese Verbände richteten eigene Meisterschaften aus. Trotz der starken Organisationsprobleme vergrößerte sich das Interesse am Tischtennis bei den japanischen Jugendlichen immer weiter. Im Herbst 1926, anlässlich des 3. Meiji-Jingu-Sportfestes, wurde Tischtennis zum ersten Mal als Sportdisziplin durchgeführt und schließlich bei den 8. Fernöstlichen Spielen (= 8th Far Eastern Olympic Games) vom 28. bis 31. August 1927 auch offiziell als eigenständige Sportart anerkannt.
Somit hatte es seinen festen Platz innerhalb der klassischen Sportdisziplinen wie Leichtathletik, Turnen und den Mannschaftsspielen, während es in Europa bei allgemeinen Sportfestlichkeiten nie Fuß fassen konnte.
Dafür gab es aber gegenüber dem europäischen Wettkampftischtennis entscheidende Mängel in der Organisation. Die chaotische Verbandsaufteilung führte zu solch großen Streitigkeiten, dass beim 5. Meiji-Jingu Sportfest vom 12. Juli 1931 keine Tischtennisbegegnungen stattfanden. Kurz danach wurde ein Dachverband gegründet, der überregionale Befugnisse erhalten sollte. Nach zwei langwierigen Verhandlungsjahren hatte sich der neue Verband, "Nippon-takyu-kyokai", endlich durchgesetzt. Die Funktionäre des Verbandes sorgten für einen geregelten Wettkampfbetrieb der untergeordneten Verbände und akzeptierten die verschiedenen Regeln der lokalen Verbände und der ITTF. Nach westlichem Vorbild wurde somit die nationale Organisation des Tischtennis verankert. Der neue Dachverband erfüllte aber außer der Leitung und Vereinheitlichung der Wettkämpfe noch weitere Aufgaben. Tischtennis wurde als ideale Sportart der Japaner schlechthin angesehen. Eine große Anzahl von Sportlern konnte ihren Spieltrieb auf kleinem Raum auslassen, und dies war bei den verengten Verhältnissen der Japaner ausschlaggebend. Eine Werbung und Unterstützung des Spiels wurde eingeleitet. Internationale Begegnungen sollten die Attraktivität des Spiels fördern. In öffentlichen Höfen und Parks stellte man die ersten Betontische für das japanische Pingpong auf; eine Aktion, die in Europa lange unvergleichlich blieb.
Abb. 27 "Dieser Tisch hat keine Holzplatte, wie sie nach den Regeln vorgeschrieben ist, aber beim Spielen im Freien wegen der Witterungseinflüsse nicht benutzt werden kann, sondern eine Zementplatte: eine japanische Erfindung, die sich bei der gesunden Ausübung des Sports im Freien außerordentlich bewährt hat."
Unter solchen Voraussetzungen bahnte sich das Spiel mit dem kleinen weißen Ball seinen Weg zu den fünf populärsten Wettkampfsportarten Japans. Die Tischtennismaterialien gehörten von nun an zum festen Bestandteil der Sportgeräteausstattung in den Schulen und Universitäten. Die sportliche Kleidung der Japaner, die auf einem Foto des Finales um die Studenten-Meisterschaft 1934 zu sehen ist, machte deutlich, mit welcher Selbstverständlichkeit sie das Tischtennis als Sportart ansahen. Auch die Tatsache, dass die Japaner bereits zwei Jahre später versuchten, das Tischtennis in das olympische Programm aufzunehmen, offenbarte die Ernsthaftigkeit, die sie mit dem Sport
verbanden. Um ihr Leistungsvermögen auch im außerasiatischen Raum unter Beweis zu stellen, wurden die ITTF Regeln für verbindlich erklärt. Für viele Japaner war dies mit einer großen Umstellung verbunden, denn in einigen Regionen unterschied sich nicht nur die alte Zählweise bis Zehn und der direkte Aufschlag in ein gekennzeichnetes Feld vom internationalen Regelwerk, sondern auch die Tischtennismaterialien. So war z.B. der Tisch etwa sechs Zentimeter schmaler und der Ball um einen halben Gramm leichter. Trotz dieser Anpassungen hatte das Tischtennis vorerst keine Chance, als olympische Disziplin bestätigt zu werden. Dies lag vor allem an den Europäern, die das Ping-Pong nur als eine verspielte Freizeitbeschäftigung ansahen, obwohl einige ungarische Spieler bereits eine professionelle Tischtenniskarriere eingeschlagen hatten. Letztendlich fehlte der ITTF auch die Durchsetzungskraft beim IOC, denn es besaß keine abgrenzende Regelung für Amateur- und Berufsspieler.
Sicherlich wäre das Tischtennis zumindest als Demonstration bei den XII. Olympischen Spielen in Tokio vorgeführt worden. Aufgrund der wachsenden Popularität hatte kaum ein Weg daran vorbei geführt. Doch die Schrecken des II. Weltkriegs unterband jedes internationale Sportgeschehen.
Abb. 28 "Ein Blick in den Turniersaal der japanischen Studenten-Meisterschaften. Man beachte die sportgerechte Kleidung der Spieler, bei denen nur lediglich die weiße Farbe (ganz weiß!) stört, da sie als Hintergrund für den weißen Ball denkbar ungünstig ist"
Den ersten Kontakt mit den europäischen Spitzenspielern hatten die Japaner im Jahre 1938, als die beiden Ungarn Miklos Szabados und Istvan Kelen einer Einladung des japanischen Dachverbandes folgten. In zahlreichen Vergleichskämpfen in den Großstädten konnten die Japaner ihre sportliche Ebenbürtigkeit unter Beweis stellen. Aber sie lernten auch zwei neue wesentliche Aspekte des europäischen Tischtennis kennen:
("Diese Vergleichskämpfe weckten das japanische Interesse an der Spielweise des 'Shake-Hand grip' und gummibezogener Schläger.")
Die Showkämpfe bewirkten noch einmal einen starken Zustrom von begeisterten Tischtennisspieler in die regionalen Verbände. Aufgrund der stetig wachsenden Mitgliederzahl wurde der Dachverband Nippon-takyu-kyokai ein Jahr später als autonome Organisation in den japanischen Sportbund aufgenommen.
Abb. 29 Der japanische Spitzenspieler Takashi Kon
Die bekanntesten Wettkampfspieler der Dreißiger Jahre waren Osada, Miyagawa, Suyama und vor allem der Ranglistenerste Takashi Kon. Er soll zwischen 1935 und 1941 unschlagbar gewesen sein. Bis dahin zeigten die Japaner noch durch klare Siege bei den Asienspielen und den Wettkämpfen der Pazifikländer, dass sie die dominierende Tischtennisnation in der östlichen Hemisphäre darstellten.
Auffällig war die Ähnlichkeit der Entwicklung von Organisation und Regelwerk zwischen den europäischen Nationen und Japan. Als sich ausdehnender Industriestaat stand es vor ähnlichen Problemen.
Auch hier war das Tischtennis aufgrund seines geringen Raumbedarfs ein beliebtes Spiel der Großstadtbevölkerung. Die Ambitionen, auch im internationalen Tischtennis aufzutreten, wurden dann allerdings vor allem durch die Kriegspolitik Japans ab 1939 zerschlagen. Erst im Jahre 1952 konnte Japan an den Weltmeisterschaften teilnehmen.
Für China bedeutete der II. Weltkrieg ebenfalls die politische Isolation. Doch verlief hier die innere Entwicklung ungehindert weiter, und im Jahre 1953 entsandte die CTTA das erste Mal ihre Nationalspieler zu Weltmeisterschaften.